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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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sie.
    »Wir haben an das Rote Kreuz geschrieben.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Wir versuchen«, erklärte Walter und steckte den Kopf unter den Tisch, obwohl Rummler hinter ihm stand und er auch nichts in der Hand hatte, ihm zu geben, »etwas von deinen Großeltern zu erfahren, Regina. Solange wir nicht wissen, was aus ihnen geworden ist, können wir das Baby nicht in Andenken an sie Max oder Ina nennen. Du weißt ja, daß bei uns die Kinder nicht den Namen von lebenden Verwandten bekommen.«
    Nur kurz ließ Regina den Wunsch zu, daß sie die Worte mit den vergifteten Pfeilen ebensowenig verstanden hatte wie Diana, die ihrem Hund Zärtlichkeiten ins Ohr und kleine Reiskugeln ins Maul stopfte. Sie aber sah, wie der Ernst im Gesicht ihres Vaters zu einem Ausdruck dunkel brennender Qual wurde. Die Augen ihrer Mutter waren feucht. Angst und Zorn kämpften um den Sieg in Reginas Kopf, und sie beneidete Inge, die zu Hause »Ich hasse die Deutschen« sagen durfte.
    Mit der Langsamkeit eines alten Maultiers wuchs in ihr die  Kraft, sich nur auf die Frage zu konzentrieren, weshalb die Königsberger Klopse sich in der Kehle zu einem kleinen Berg aus Salz und Schärfe verwandelten. Schließlich gelang es Regina doch noch, wenigstens ihren Vater so anzuschauen, als sei sie und nicht er das Kind, das Hilfe brauchte.
17
    Nach dem Krieg galten auch in den konservativen Kreisen der Kolonie Toleranz und Weltoffenheit als wohl unvermeidlich gewordene Bekenntnisse zu der neuen Zeit, für die das Empire so viele Opfer hatte bringen müssen. Allerdings waren sich Menschen mit Traditionsbewußtsein absolut einig, daß da allein der gesunde britische Sinn für Proportionen vor voreiligen und dann leider auch recht geschmacklosen Übertreibungen schützte. So wies Janet Scott, die Direktorin der Kenya Girls' High School in Nairobi, in den Gesprächen mit besorgten Eltern nicht eigens auf die Tatsache hin, daß das Internat ihrer Schule, im Gegensatz zu dem ihm angeschlossenen Institut von weit geringerem gesellschaftlichem Prestige für die Tagesschüler, einen auffallend kleinen Anteil von Refugee-Kindern aufnehme. Der hohe und bedingungslos den alten Idealen verpflichtete Standard des Internats sprach sich gerade in Zeiten des sozialen Aufbruchs, die dazu neigten, eher auf Gefühl als auf Verstand zu setzen, schnell von selbst herum.
    Nur im zuverlässigen Kreis der Gleichgesinnten ließ Mrs. Scott mit jener leichten Errötung, die bei ihr Stolz verriet, anklingen, daß sie das diffizile Problem auf sehr elegante Art gelöst hatte. Schülerinnen, die weniger als dreißig Meilen von der Schule entfernt wohnten, konnten nur auf Antrag und unter Berücksichtigung besonderer Umstände das renommierte Internat besuchen. Die übrigen Mädchen wurden nur als Day-Scholars aufgenommen und weder vom Lehrerkollegium noch den Mitschülerinnen wie die vollwertigen Mitglieder der Schulgemeinschaft behandelt.
    Ausnahmen für die Aufnahme ins Internat außerhalb der Norm wurden nur gemacht, wenn die Mütter bereits dort Schülerinnen gewesen oder die Väter als großzügige Sponsoren in Erscheinung getreten waren. Das bot ausreichende Gewähr, um die Dinge in der von selbstbewußten Traditionalisten geschätzten Balance zu halten. Die Lösung, sich mit neuen Gegebenheiten zu arrangieren und dabei die Essenz des konservativen Elements nicht aus den Augen zu verlieren, galt bei Eingeweihten als ebenso diplomatisch wie praktisch.
    »Merkwürdig«, pflegte Mrs. Scott in ob ihrer Furchtlosigkeit bewunderter Lautstärke zu grübeln, »daß ausgerechnet die Refugees den Hang haben, sich in der Stadt zu ballen und deshalb in ihrer Mehrzahl für das Internat dann auch nicht in Frage kommen. Wahrscheinlich werden sich die armen Teufel nun in ihrer großen Empfindlichkeit doch irgendwie diskriminiert vorkommen, aber wie soll man ihnen da helfen?« Nur wenn sich die Direktorin wirklich geborgen bei den Ihrigen fühlte und sicher war vor lästigen modischen Mißverständnissen, entzückte sie mit ihrer sachlich und wohltuend ohne billigen Sar-kasmus vorgebrachten Meinung, daß manche Menschen zum Glück eben doch sehr viel geübter im Umgang mit sogenannten Diskriminierungen seien als andere.
    Regina hatte in den zwei Monaten als Day-Scholar ohne jenes Sozialprestige, das im Schulleben der Kolonie noch schwerer wog als anderswo, Janet Scott nur einmal und da aus der Ferne gesehen. Das war bei der Feier in der Aula, als für die Kapitulation Japans gedankt wurde.

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