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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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dem Tag, an dem er zum erstenmal die Rückkehr nach Deutschland erwähnt hatte, daß er nicht mit Jettels Verständnis rechnen durfte. Seitdem wurden immer häufiger aus belanglosen Diskussionen Kämpfe ohne Vernunft und Logik und voller Bitterkeit. Er empfand es als Hohn, daß er dabei seine Frau um ihre Kompromißlosigkeit beneidete. Wie oft hatte er selbst an seiner Kraft gezweifelt, das Leid zu überwinden, das für immer unvernarbte Wunden hinterlassen würde, aber bei jeder Prüfung seiner Beweggründe hatte er nie einen anderen Weg gefunden als den, zu dem ihn das Verlangen nach seiner Sprache, seinen Wurzeln und seinem Beruf verurteilten. Er brauchte sich nur das Leben auf einer Farm vorzustellen, und schon wußte er, daß er nach Deutschland zurückwollte und mußte, wie qualvoll auch der Weg sein mochte.
    Jettel dachte anders. Sie war zufrieden unter Menschen, denen der Haß auf Deutschland reichte, um die Gegenwart als das einzige Glück zu empfinden, das den Davongekommenen zustand. Sie begehrte nichts mehr als die Gewißheit, daß andere so dachten wie sie; sie hatte sich immer gegen Veränderungen gesträubt. Wie hatte sie sich in einer Zeit, da ein jeder Tag des Zögerns tödliche Bedrohung war, gegen die Auswanderung nach Afrika gewehrt.
    Die Erinnerung an die Zeit vor der Auswanderung in Breslau gab Walter letzte Gewißheit. Er hörte Jettel »Lieber tot als weg von meiner Mutter« schreien; er sah ihr kindlich-trotziges Gesicht hinter dem dichten Vorhang der Tränen so deutlich, als würde er immer noch auf dem Plüschsofa seiner Schwiegermutter sitzen. Ernüchtert und enttäuscht, begriff Walter, daß sich seitdem in seiner Ehe nichts geändert hatte.
    Jettel war keine Frau, die sich ihrer Fehler schämte. Sie bestand in jeder Lebenslage darauf, sie zu wiederholen. Nur diesmal hatte Walter nicht mehr die Argumente eines Mannes, der seine Familie retten wollte, um seine Frau zu überzeugen. Er war noch immer ein Verlassener und Gejagter, und jeder konnte ihn als Mann ohne Gesinnung und Stolz brandmarken. Er wartete auf den Zorn, den er sich nicht anmerken lassen durfte, aber er spürte nur ein Mitleid mit sich selbst, das ihn müde machte.
    Walters Herz raste, als er sich abermals räusperte, um seiner Stimme eine Festigkeit zu geben, die er nicht mehr in sich fühlte. Er merkte, wie seine Kraft nachließ. Zu machtlos war er gegen seine zaudernde Scheu, von Heimkehr und Heimat zu sprechen. Die Worte, die ihm in fremder Sprache und bei dem Captain so leicht gekommen waren, verhöhnten ihn, aber noch wollte er sich nicht geschlagen geben. Nur kam es ihm sinnvoller und auf alle Fälle diplomatisch vor, den englischen Begriff zu gebrauchen, den er selbst vor ein paar Stunden zum erstenmal gehört hatte.
    »Repatriation«, sagte er.
    »Was heißt das?« fragte Jettel widerstrebend. Sie überlegte gleichzeitig, ob sie das Wort kennen müßte und ob sie die Aja mit dem Kind schon ins Haus holen oder lieber dafür sorgen sollte, daß Owuor erst das Wasser aufsetzte, um die Windeln auszukochen. Sie seufzte, weil Entscheidungen am späten Nachmittag sie mehr ermüdeten als in der Zeit vor der Geburt.
    »Ach, nichts. Mir ging nur etwas durch den Kopf, was der Captain heute gesagt hat. Ich mußte ihm stundenlang eine Verordnung suchen, die der alte Esel die ganze Zeit auf seinem Schreibtisch liegen hatte.«
    »Ach, du warst bei ihm? Hoffentlich hast du wenigstens die Gelegenheit genutzt, ihm klarzumachen, daß er dich mal befördern könnte. Elsa sagt auch, daß du in solchen Sachen nicht energisch genug bist.«
    »Jettel, finde dich endlich damit ab, daß es Refugees bei der Army nicht weiter als bis zum Sergeant bringen. Glaub mir, ich bin ein Meister im Nutzen von Gelegenheiten.«
    Die Chance, mit Jettel in Ruhe über Deutschland zu sprechen, kam nicht mehr wieder. Der »Aufbau« ließ es nicht zu. Sechs Wochen nach dem Erscheinen der Anzeige traf der erste von vielen Briefen ein, die so viel Vergangenheit beschworen, daß Walter nicht den Mut fand, Jettel eine Zukunft auszumalen, die er sich, selbst in optimistischer Stimmung, nur sehr vage vorstellen konnte.
    Der erste Brief kam von einer alten Frau aus Shanghai. »Mich hat es aus dem schönen Mainz hierher verschlagen«, schrieb sie, »und ich habe eine ganz kleine Hoffnung, daß es mir gelingen könnte, durch Sie, sehr geehrter Herr Doktor, etwas über das Schicksal meines einzigen Bruders zu erfahren. Ich habe das letztemal im Januar 1939 von ihm ein

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