Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
genau dieses törichte, mißbrauchte, sentimentale Wort durchbohrte seit Monaten die Ruhe von Bruce Carruthers.
    »Meine Heimat ist Schottland«, sagte er, und einen Moment dachte er tatsächlich, er rede wieder mit sich selbst, »aber irgendein Narr in London hat sich in seinen Querschädel gesetzt, daß ich hier im dämlichen Ngong verrotten soll.«
    »Ja, Sir.«
    »Kennen Sie Schottland?«
    »Nein, Sir.«
    »Ein wunderschönes Land. Mit anständigem Wetter, anstän-digem Whisky und anständigen Menschen, auf die man sich noch verlassen kann. Die Engländer haben nicht die leiseste Ahnung von Schottland und was sie uns angetan haben, als sie sich unseren König geholt und unsere Selbständigkeit gestohlen haben«, sagte der Captain. Ihm wurde bewußt, daß es recht lächerlich war, mit einem Mann, der offenbar nicht viel mehr als ja und nein sagen konnte, über Schottland und das Jahr 1603 zu diskutieren.
    »Was machen Sie im Zivilleben?« fragte er deshalb.
    »In Deutschland war ich Rechtsanwalt, Sir.«
    »Wirklich?«
    »Ja, Sir.«
    »Ich bin auch Anwalt«, sagte der Captain. Er erinnerte sich, daß er den Satz das letztemal bei seinem Eintritt in die verfluchte Army gesagt hatte. »Wie um Himmels willen«, fragte er trotz des Unbehagens an seiner unvermuteten Neugierde, »sind Sie bloß in dieses Affenland gelangt? Ein Anwalt braucht doch seine Muttersprache. Warum sind Sie nicht in Deutschland geblieben?«
    »Hitler wollte mich nicht.«
    »Warum denn nicht?«
    »Ich bin Jude, Sir.«
    »Stimmt. Steht ja hier. Und da wollen Sie nach Deutschland zurück? Haben Sie denn nicht diese scheußlichen Berichte über die Konzentrationslager gelesen? Hitler scheint verdammt schlecht mit Ihren Leuten umgegangen zu sein.«
    »Hitlers kommen und gehen, aber das deutsche Volk bleibt bestehen.«
    »Mann, Sie können ja plötzlich Englisch. Wie Sie das gesagt haben!«
    »Das hat Stalin gesagt, Sir.«
    Die Jahre beim Militär hatten Captain Carruthers gelehrt, nie mehr zu tun, als man von ihm verlangte, und sich vor allem nicht fremde Sorgen aufzuladen, doch die Situation, so grotesk sie auch war, faszinierte ihn. Er hatte soeben das erste vernünftige Gespräch seit Monaten geführt und das ausgerechnet mit einem Mann, mit dem er sich nicht besser verständigen konnte als mit dem indischen Mechaniker der Kompanie, der jedes Stück beschriebenes Papier als persönliche Kränkung empfand.
    »Sie wollten bestimmt, daß die Army Ihre Überfahrt bezahlt. Freie Fahrt nach Hause. Das wollen wir alle.«
    »Ja, Sir. Das ist meine einzige Chance.«
    »Die Army ist verpflichtet, jeden Soldaten mit seiner Familie in sein Heimatland zu entlassen«, erklärte der Captain. »Das wissen Sie doch?«
    »Pardon, Sir, ich habe Sie nicht verstanden.«
    »Die Army muß Sie nach Deutschland bringen, wenn Sie dort zu Hause sind.«
    »Wer sagt das?«
    »Die Bestimmungen.«
    Der Captain grub in den Papieren auf seinem Schreibtisch, fand aber nicht, was er suchte. Schließlich zog er ein vergilbtes, eng beschriebenes Blatt aus der Schublade. Er erwartete nicht, daß Walter den Text würde lesen können, hielt ihm jedoch trotzdem die Verordnung hin und merkte verblüfft und auch ein wenig gerührt, daß Walter offenbar den kompliziert dargestellten Sachverhalt wenigstens so weit auf Anhieb zu verstehen schien, wie er ihn selbst betraf. »Ein Mann des Wortes«, lachte Carruthers.
    »Pardon, Sir, ich habe Sie schon wieder nicht verstanden.«
    »Macht nichts. Morgen werden wir den Antrag für Sie auf Entlassung nach Deutschland stellen. Haben Sie mich zufällig einmal verstanden?«
    »O ja, Sir.«
    »Haben Sie Familie?«
    »Eine Frau und zwei Kinder. Meine Tochter wird vierzehn, und mein Sohn ist heute acht Wochen alt. Ich danke Ihnen so sehr, Sir. Sie wissen nicht, was Sie für mich tun.«
    »Ich glaube doch«, sagte Carruthers nachdenklich. »Aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen«, fuhr er mit einer Ironie fort, die ihm nicht so leicht kam wie sonst, »in der Army geht alles sehr langsam. Wie sagen die verdammten Nigger hier?«
    »Pole pole«, freute sich Walter und kam sich wie Owuor vor, als er die beiden Worte ganz langsam wiederholte. Als er sah, daß Carruthers nickte, beeilte er sich, den Raum zu verlassen.
    Zunächst konnte er sich seine schwankenden Empfindungen nicht erklären. Was er zuvor als die Weitsichtigkeit eines Mannes gedeutet hatte, der Mut genug hatte, sich sein Scheitern einzugestehen, erschien ihm mit einem Mal als

Weitere Kostenlose Bücher