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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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verantwortungsloser Leichtsinn. Und doch ahnte er, daß ein Funken Hoffnung gekeimt war, den weder Zweifel noch die Angst vor der Zukunft zum Erlöschen bringen konnten.
    Als Walter ins Hove Court zurückkehrte, war er aber noch immer benommen von der beunruhigenden Mischung aus Euphorie und Unsicherheit. Er blieb am Tor stehen und stellte sich dort eine Zeitlang, die ihm Ewigkeit wurde, zwischen die Kakteen, zahlte die Blüten und versuchte, erfolglos, für jede Zahl die Quersumme zu errechnen. Noch mehr Zeit brauchte er, um der Versuchung zu widerstehen, erst bei Diana vorbeizuschauen und sich an ihrer guten Laune und vor allem mit ihrem Whisky zu stärken. Seine Schritte waren langsam und zu leise, als er weiterging, doch dann sah er Chebeti mit dem Baby unter demselben Baum sitzen, der Jettel in der Schwangerschaft Trost, Schutz und Schatten gegeben hatte. Er gönnte seinen Nerven Befreiung.
    Sein Sohn lag geborgen in dem Faltenberg von Chebetis hellblauem Kleid. Nur die winzige weiße Leinenmütze des Kindes war zu sehen. Sie berührte das Kinn der Frau und wirkte im sanften Wind wie ein Schiff auf ruhigem Ozean. Regina, einen Kranz aus Blättern vom Zitronenbaum im Haar, hockte auf dem Gras mit gekreuzten Beinen. Weil sie nicht singen konnte, las sie mit feierlich-dunkler Stimme der Aja und ihrem Bruder ein Kinderlied mit vielen, sich wiederholenden Lauten vor.
    Eine Weile ärgerte sich Walter, daß es ihm noch nicht einmal gelang, einzelne Worte zu verstehen; dann begriff er, rasch versöhnt mit sich selbst und dem Schicksal, daß seine Tochter beim Rezitieren den englischen Text sofort in die Jaluo-Sprache übersetzte. Sobald Chebeti den ersten vertrauten Laut auffing, klatschte sie und feuchtete ihre Kehle mit einem leisen, sehr melodischen Gelächter an. Wenn das Temperament in ihr zu Feuer wurde, wachte Max durch die Bewegungen ihres Körpers auf, und es war, als versuchte er, die sanft lockenden Geräusche nachzuahmen, ehe er zurück in den Schlaf geschaukelt wurde.
    Owuor saß aufrecht unter einer Zeder mit dunklen Blättern und beobachtete auch die kleinste Bewegung des Babys mit angespannter Aufmerksamkeit. Neben ihm lag der Stock mit einem geschnitzten Löwenkopf auf dem Knauf, den er sich an Chebetis erstem Arbeitstag zugelegt hatte. Er bearbeitete seine Zähne mit einem kleinen Stück jungen Zuckerrohrs, das er mit kräftigen Bissen annagte, und in regelmäßigen Abständen spuckte er die hohen Grashalme so lange an, bis sie in der späten Sonne in den gleichen bunten Farben schillerten wie der Tau am frühen Morgen. Mit seiner linken Hand kraulte er Rummler, der selbst beim Dösen laut genug atmete, um die Fliegen zu vertreiben, ehe sie ihm lästig werden konnten.
    In ihrer Harmonie und Fülle erinnerte Walter die Szene an Bilder in den Büchern seiner Kindheit. Er lächelte ein wenig, als er sich klarmachte, daß die Menschen im europäischen Hochsommer nicht schwarz waren und nicht unter Zedern und  Zitronenbäumen saßen. Weil das Gespräch mit dem Captain noch in ihm rumorte, wollte er seinen Augen verbieten, von der Idylle zu trinken, die zu ihm herüberwehte, doch seine Sinne ließen es nur kurz zu, daß er ihnen solche Gewalt antat.
    Obwohl die Luft schwer von dampfender Feuchtigkeit war, genoß er jeden Atemzug. Er empfand dabei ein unbestimmtes Verlangen, das ihn in seiner Unschuld fesselnde Bild festzuhalten, und war froh, als Regina ihn bemerkte und ihn von seinen Träumen erlöste. Sie winkte ihm zu, und er winkte zurück.
    »Papa, der Max hat schon einen richtigen Namen. Owuor nennt ihn askari ja ossjeku.«
    »Bißchen übertrieben für ein so kleines Kind.«
    »Du weißt doch, was askari ja ossjeku heißt? Nachtsoldat.«
    »Du meinst Nachtwächter.«
    »Aber ja«, sagte Regina ungeduldig, »weil er den ganzen Tag schläft und nachts immer wach ist.«
    »Nicht nur er. Wo ist eigentlich deine Mutter?«
    »Drin.«
    »Was macht sie denn um diese Zeit im heißen Flat?«
    »Sie regt sich auf«, kicherte Regina. Zu spät fiel ihr ein, daß ihr Vater weder Stimmen noch Augen deuten konnte, und daß sie dabei war, ihm seine Ruhe zu stehlen. »Max«, sagte sie schnell und voller Reue, »steht in der Zeitung. Ich hab's schon gelesen.«
    »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
    »Du hast mich doch gar nicht gefragt, wo Mama ist. Chebeti sagt, eine Frau muß den Mund zumachen, wenn ein Mann seine Augen auf Safari schickt.«
    »Du bist schlimmer als alle Neger zusammen«, schimpfte Walter, doch

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