Nirgendwo in Afrika
es war eine belebende Ungeduld, die seine Stimme laut machte.
Er rannte so schnell zum Flat, daß Owuor beunruhigt aufstand. Eilig warf er Zuckerrohr und Stock auf die Erde und nahm sich kaum die nötige Zeit, um seine Glieder auszuschütteln. Auch Rummler wurde wach und lief, so schnell, wie es seine schwerfälligen Beine noch zuließen, mit heraushängender Zunge hinter Walter her.
»Zeig mal, Jettel«, rief Walter noch im Laufen. »Ich hab' nicht gedacht, daß das so schnell geht.«
»Hier. Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Es sollte eine Überraschung sein. Als Regina geboren wurde, habe ich dir noch den Ring schenken können. Bei Max langt's nur zu einer Anzeige.«
»Aber was für eine. Ich hab' mich schrecklich gefreut, als der alte Gottschalk vorhin mit der Zeitung ankam. Er war ganz beeindruckt. Stell dir vor, wer das alles lesen wird.«
»Hoffentlich, das war ja der Sinn der Sache. Hast du schon einen Bekannten gefunden?«
»Noch nicht. Die Freude wollte ich dir lassen. Du bist doch immer zuerst dran gewesen.«
»Aber du hast immer die guten Nachrichten gefunden.«
Die Zeitung lag aufgeschlagen auf einem kleinen Hocker neben dem Fenster. Ihr dünnes Papier knisterte bei jedem Windstoß und ließ die vertraute und doch ewig neue Melodie von Hoffnung und Enttäuschung ahnen.
»Unsere Trommeln«, sagte Walter.
»Mir geht es wie Regina«, erkannte Jettel und neigte ihren Kopf mit einer Spur ihrer alten Koketterie zur Seite, »ich höre Geschichten, ehe sie erzählt werden.«
»Jettel, du wirst ja zum Dichter auf deine alten Tage.«
Sie standen am offenen Fenster und starrten beseligt auf die üppigen, violetten Bougainvilleen an der kalkweißen Mauer, ohne zu merken, wie nahe Körper und Kopf einander waren; es war einer der seltenen Augenblicke ihrer Ehe, da jeder die Gedanken des anderen billigte.
»Der Aufbau« war keine Zeitung wie jede andere. Schon vor dem Krieg und erst recht danach war das deutschsprachige Blatt aus Amerika mehr als nur das Sprachrohr für Emigranten in aller Welt. Jede Ausgabe, ob die Betroffenen es wollten oder nicht, nährte die Wurzeln zur Vergangenheit und trieb das Karussell der Erinnerungen in den Sturm der Trauer.
Schon ein paar Zeilen vermochten, Schicksal zu werden. Nicht die Berichte und Leitartikel wurden zuerst gelesen. Es waren immer und bei allen die Such- und Familienanzeigen.
Durch sie fanden sich Menschen wieder, die seit der Auswanderung nichts mehr voneinander gehört hatten. Die Hinweise auf die alte Heimat konnten Totgesagte zum Leben erwecken und gaben, lange vor den offiziellen humanitären Organisationen Auskunft, wer der Hölle entkommen und wer in ihr umgekommen war. Noch elf Monate nach Kriegsende in Europa war der »Aufbau« sehr oft die einzige Möglichkeit für die Überlebenden, die Wahrheit zu erfahren.
»Mensch, die Anzeige ist ja riesengroß«, staunte Walter. »Die steht sogar ganz oben. Weißt du, was ich glaube? Mein Brief muß jemand in die Hände geraten sein, der uns von früher kennt und uns einen Gefallen tun wollte. Stell dir vor, da sitzt einer in New York, und auf einmal liest er unseren Namen und daß wir aus Leobschütz sind. Und kriegt mit, daß ich doch nicht von einem Löwen gefressen worden bin.«
Walter räusperte sich. Ihm fiel ein, daß er das immer vor einem Plädoyer getan hatte, aber er verdrängte den Gedanken mit einer Verlegenheit, die ihm wie das Eingeständnis einer Schuld vorkam. Obwohl ihm klar war, daß Jettel den Text bereits auswendig kannte, las er die wenigen Zeilen laut vor: »Dr. Walter Redlich und Frau Henriette geb. Perls (früher Leobschütz) zeigen die Geburt ihres Sohnes Max Ronald Paul an. P.O.B. 1312, Nairobi, Kenya Colony. 6. März 1946. Was sagst du dazu, Jet-tel? Dein Alter ist wieder der Herr Doktor. Das erstemal seit acht Jahren.«
Noch während er sprach, ging Walter auf, daß der Zufall ihm das Stichwort gegeben hatte, Jettel von dem Gespräch mit dem Captain und der großen Chance zu erzählen, auf Kosten der Army nach Deutschland zu gelangen. Er mußte nur nach den richtigen Worten suchen und vor allem den Mut finden, ihr so schonend wie möglich beizubringen, daß er sich endgültig für den Weg ohne Umkehr entschieden hatte. Einen Moment voller Verlangen und wider besseres Wissen gab er sich der Illusion hin, Jettel würde ihn verstehen und vielleicht sogar seine Weitsicht bewundern, aber seine Erfahrungen ließen es nur kurz zu, daß er sich betrog.
Walter wußte seit
Weitere Kostenlose Bücher