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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Lebenszeichen erhalten. Damals schrieb er mir aus Paris, daß er versuchen wollte, zu seinem Sohn nach Südafrika auszuwandern. Leider habe ich keine Adresse von meinem Neffen in Südafrika, und der weiß ja auch nicht, daß ich noch mit dem letzten Transport nach Shanghai gelangt bin. Nun sind Sie der einzige Mensch, den ich in Afrika kenne. Natürlich wäre es ein Zufall, wenn Sie meinem Bruder begegnet wären, aber wir, die wir leben, verdanken dies ja alle nur dem Zufall. Ich wünsche Ihnen alles Glück für Ihren Sohn. Möge er in einer besseren Welt  aufwachsen, als sie uns vergönnt ist.«
    Es folgten viele Briefe von unbekannten Absendern, die sich nur deshalb an den Funken Hoffnung klammerten, Nachricht von vermißten Familienangehörigen zu bekommen, weil die entweder aus Oberschlesien stammten oder zuletzt von dort geschrieben hatten. »Mein Schwager ist 1934 in Buchenwald ermordet worden«, schrieb ein Mann aus Australien, »und meine Schwester danach mit ihren zwei kleinen Kindern nach Ratibor gezogen, wo sie Arbeit in einer Weberei fand. Trotz aller Nachforschungen bei dem Roten Kreuz hat man ihren Namen und den der Kinder auf keiner Deportationsliste finden können. Ich schreibe an Sie, weil meine Schwester einmal Le-obschütz erwähnt hat. Vielleicht sind Sie dem Namen mal begegnet oder stehen mit Juden aus Ratibor in Verbindung, die überlebt haben. Ich weiß, daß meine Bitte töricht ist, aber ich bin noch nicht weit genug, um Hoffnungen zu begraben.«
    »Und ich habe immer gedacht, kein Mensch kennt Leob-schütz«, wunderte sich Jettel, als schon am nächsten Tag ein ähnlicher Brief eintraf. »Wenn wir nur einmal eine gute Nachricht bekommen würden.«
    »Und mir«, erwiderte Walter bedrückt, »geht jetzt erst auf, wie kurz der Weg von Oberschlesien nach Auschwitz war. Das macht mir zu schaffen.«
    Die Fülle von fremdem Leid und sinnloser Hoffnung, die in Nairobi angeschwemmt wurde, ließ nicht nur die eigenen Wunden bluten; sie machte in ihrer Gewalt apathisch.
    »Du hast was Schönes angerichtet«, sagte Walter zu seinem Sohn.
    An einem Freitag im Mai nahm Regina die Post aus Owuors Korb. »Ein Brief aus Amerika«, meldete sie, »jemand, der Ilse heißt.«
    Sie sprach den Namen englisch aus, und Jettel mußte lachen. »So heißt kein Mensch in Deutschland. Gib mal her.«
    Regina konnte gerade noch sagen: »Mach bloß das Kuvert nicht kaputt, gerade die aus Amerika sind so schön«, und dann sah sie, wie ihre Mutter blaß wurde und daß ihre Hände zitterten.
    »Ich weine ja gar nicht«, schluchzte Jettel, »ich freue mich doch so. Regina, der Brief ist von meiner Jugendfreundin Ilse Schottländer. Mein Gott, daß die noch lebt.«
    Sie setzten sich nebeneinander ans Fenster, und Jettel begann, den Brief sehr langsam vorzulesen. Es war, als wollte ihre Stimme jede Silbe festhalten, ehe sie die nächste aussprechen mußte. Regina verstand manche Worte nicht, und die fremden Namen wirbelten um ihre Ohren herum wie Heuschrecken auf einem Feld mit jungem Mais. Sie mußte sich viel Mühe geben, immer dann zu lachen und zu weinen, wenn es ihre Mutter auch tat, aber sie trieb ihre Sinne energisch an, in dem Sturm von Trauer und Freude mitzuhalten. Owuor kochte Tee, obwohl die Zeit dafür noch nicht gekommen war, holte die Taschentücher aus dem Schrank, die er für die Tage mit fremden Briefmarken bereithielt, und setzte sich in die Hängematte.
    Als Jettel den Brief das viertemal vorgelesen hatte, waren sie und Regina so erschöpft, daß sie beide nichts mehr sagten. Erst nach dem Mittagessen, das zu Owuors Kummer so zurückging, wie er es hereingetragen hatte, waren sie imstande, wieder zu sprechen, ohne vorher den Atem aus der Brust zu holen.
    Sie überlegten, wie sie Walter von dem Brief erzählen sollten, und beschlossen schließlich, ihn gar nicht zu erwähnen und ihn wie die gewöhnliche Post auf den runden Tisch zu legen. Am frühen Nachmittag aber trieben Erregung und Ungeduld Jettel aus dem Haus. Sie lief trotz der Hitze und des schattenlosen Weges mit Regina, Max im Kinderwagen, der Aja und dem Hund zur Bushaltestelle.
    Der Bus rollte noch, als Walter vom Trittbrett sprang. »Ist  was mit Owuor?« fragte er erschrocken.
    »Der bäckt die kleinsten Brötchen seines Lebens«, flüsterte Jettel.
    Walter begriff sofort. Er kam sich wie ein Kind vor, das die Vorfreude bis zur Neige genießen will und ein unerwartetes Geschenk gar nicht erst aufpackt. Erst küßte er Jettel und dann Regina,

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