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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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an Land gespült wurde und nicht mehr laufen konnte, aber nicht umzukehren wagte. Saß sie aber bei Tag in dem großen Stuhl mit den geschnitzten Löwenköpfen auf den Armlehnen im Schatten der von rosa und weißen Wicken bewachsenen Hauswand und beobachtete unmittelbar nach dem Nachlassen des Regens den schäumenden Tanz der Wolken, fühlte sie sich stark wie Atlas mit der schweren Weltkugel auf dem Rücken.
    Die Vorstellung erregte sie, sich genau am Schnittpunkt von drei Welten zu befinden. Die hätten nicht verschiedener voneinander sein können, hätte sich Mungo selbst bemüht, jeder eine unverwechselbare Gestalt zu geben. Die drei Welten vertrugen sich alle so gut miteinander wie Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen und sich also auch nicht auf das Wort Streit einigen können.
    Das Gras, das von den rötlich schimmernden Bergen in das Tal hineinwuchs, hatte zu viel Sonne gespeichert, um in der Regenzeit so grün zu werden wie im übrigen Hochland. Die großen gelben Büsche färbten das Licht ein, als müßten sich die verdorrten Pflanzen vor Blicken schützen. Das gab der Landschaft eine Sanftheit, die sie nicht hatte, und machte sie überschaubar. Die breiten Streifen der Zebras leuchteten auf ihren prallen Körpern, bis die Sonne vom Himmel stürzte, und das Fell der Paviane wirkte wie dichte Decken, die aus brauner Erde gewebt waren.
    Es gab sehr helle Tage, die aus den Affen unbewegliche Kugeln machten, und im weißen Licht, das kaum einen Schatten duldete, konnte sie das Auge nur nach vielen mühsamen Versuchen von den Buckeln der Kühe unterscheiden, die in ihrer Nähe kauten. Es gab aber auch die kurzen Stunden, die weder zum Tag noch zur Nacht gehörten. Da kamen die halberwachsenen Paviane, denen Erfahrung und Vorsicht noch nicht die Neugierde aus dem Gesicht gekratzt hatten, so nahe ans Haus, daß jeder ihrer Laute einen eigenen Klang bekam.
    Der Wald mit den Zedern, deren Kronen die Wurzeln nicht mehr sehen konnten, und den niedrigen Dornakazien mit dürren Ästen lag hinter dem letzten Maisfeld. Wurden die Trommeln geschlagen, hatten sie ein Echo, das auch einem wütenden Wind ein kurzes, gespanntes Schweigen befahl. Es waren diese in Nairobi so lange vermißten Geräusche, die Reginas Ohren am meisten streichelten. Sie ließen die Erinnerungen, die sie nie verschlucken gelernt hatte, zu einer Gegenwart werden, die sie betäubte wie an fröhlichen Tagen das Tembo die Männer von den Hütten. Jede einzelne Trommel nahm ihr die Furcht, daß sie nur eine Reisende ohne Ziel sein könnte, die sich kurz vom geborgten Glück nähren durfte, und bestätigte ihr, daß sie in Wirklichkeit der für immer heimgekehrte Odysseus war.
    Wenn ihre Haut Wind, Sonne und Regen spüren durfte und ihre Augen den Horizont festhielten wie ein Schakal die erste Beute der Nacht, war Regina betäubt von dem noch nie erlebten Rausch des großen Vergessens. Er vereinte Vertrautes und Unbekanntes, Fantasie und Wirklichkeit und nahm ihr die Kraft, an die Zukunft zu denken, die ihr Vater schon eingefangen hatte. In ihrem Kopf entstand ein dichtes Netz von verwirrenden Geschichten aus einem fernen Ort, in dem Lilly sich in Scheherazade verwandelte.
    Jedesmal, wenn Chebeti die gewärmte Milchflasche auf einem kleinen silbernen Tablett hereintrug und Regina sie ihrem Bruder in den Mund steckte, wurde ein Tor zu einem Paradies aufgestoßen, für das allein die Schloßherrin den Schlüssel besaß. Chebeti setzte sich auf den Boden und bettete ihre schlanken Hände in die großen gelben Stoffblumen ihres Kleides. Regina wartete die ersten schmatzenden Laute des saugenden Kindes ab, und dann erzählte sie Max und Chebeti mit der gleichen feierlichen Stimme, mit der sie in der Schule Kiplings vaterlandstreue Gedichte aufsagte, von den Dingen, mit denen Lilly ihre Ohren getränkt hatte.
    In Gilgil war selbst die Milch verzaubert. Morgens war die braune Antonia, die nicht singen durfte und die sich von einer  Geige in den Tod locken ließ, die Spenderin. Das Mittagsmahl für den kleinen Askari kam von der weißen Cho-Cho-San, die sich mit dem Dolch des Vaters in der Hand und dem Lied »Ehrenvoll sterbe« auf den Lippen aus dem Leben sang; abends schlief Max mit der Geschichte von Konstanze ein, während Lilly »Traurigkeit ward mir zum Lose« sang, der Pudel aufheulte und Oha sich mit dem rauhen Stoff seiner Jacke Tränen aus den Augen wischte.
    Schon nach den ersten paar Tagen in Gilgil hatte Regina begriffen, daß Lillys

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