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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Sobald er die ersten Umrisse der roten Staubwolke sah, die wie ein Vogel auf ihn zuflog, trieb er das Leben zurück in seine schlafenden Füße, stand auf und spannte seinen Körper wie die Sehne in einem schußbereiten Bogen. Kimani liebte diese regelmäßige Wiederkehr von Warten und Erwartung, denn als Überbringer von Post und Waren war er dem Bwana wichtiger als Regen, Mais und Flachs. Alle Männer auf der Farm beneideten Kimani um seine Bedeutung.
    Besonders Owuor, der Jaluo mit den lauten Liedern, die das Gelächter in die Kehle vom Bwana zauberten, versuchte immer wieder, Kimanis Tage zu stehlen, doch der blieb stets ein glückloser Jäger nach einer Beute, die ihm nicht zustand. Es gab auch in den Hütten der Kikuyu viele junge Männer mit gesünderen Beinen und mehr Luft in der Brust als Kimani, die ohne Mühe zu Pateis Duka und zurück zur Farm hätten laufen können, aber die Kraft von Kimanis kluger Zunge wehrte jeden Angriff auf sein Recht ab.
    Zog er morgens von seiner Hütte los, sah er noch die Sterne am Himmel; er traf erst bei dem üblen Hund Patel ein, wenn die Sonne gerade ansetzte, ihre Schatten zu verschlingen. Immer aber war es Kimani, der auf den Lastwagen warten mußte und nicht der Lastwagen auf ihn. Der lange Weg durch den Wald mit den schweigsamen schwarzen Affen, die nur bei dem Sprung von einem Baum zum anderen ihre weiße Mähne sehen ließen, war beschwerlich. An den heißen Tagen zwischen den Regenzeiten hörte Kimani schon auf dem Weg zum Laden seine Knochen schreien. Bei der Heimkehr brannten bereits die Feuer vor den Hütten. Da waren seine Füße so heiß, als hätten sie eilig Glut austreten müssen. Freude aber machte Kimanis Körper satt, obwohl er den ganzen Tag nur Wasser getrunken hatte. Die Memsahib füllte es immer am Abend zuvor in die schöne grüne Flasche.
    Schlecht waren die Tage, wenn die Hyäne Patel die Frage nach Post für die Farm mit bösem Kopfschütteln beantwortete und dabei aussah, als hätte sie den Geiern die besten Brocken weggeschnappt. Der Bwana brauchte nämlich seine Briefe wie ein verdurstender Mann die paar Tropfen Wasser, die ihn davor schützen, sich für immer hinzulegen. Brachte Kimani nichts anderes aus Patels stinkendem Duka nach Hause als Mehl, Zucker und den kleinen Eimer mit dem halbflüssigen gelben Fett für die Memsahib, wurden die Augen vom Bwana glanzloser als das Fell eines sterbenden Hundes. Schon eine einzige Zeitung machte ihn fröhlich, und er nahm die kleine Rolle Papier mit einem Seufzer entgegen, der eine süße Medizin für Ohren war, die den ganzen Tag nur die Laute aus dem Maul von Tieren hatten fressen dürfen.
    Der Bwana war nun seit drei kleinen und zwei großen Regenzeiten auf der Farm. Kimani reichte die Zeit, um - allerdings so langsam wie ein zu früh geborener Esel - die vielen Dinge zu begreifen, die zu Beginn seines neuen Lebens mit dem Bwana den Kopf schwergemacht hatten. Er wußte nun, daß die Sonne am Tag und der Mond in der Nacht dem Bwana nicht genug waren, nicht der Regen auf ausgetrockneter Haut oder ein laut schreiendes Feuer bei Kälte, nicht die Stimmen aus dem Radio, die sich keinen Schlaf gönnten, selbst nicht das Bett der Memsahib und die Augen der Tochter, wenn sie von der Schule im fernen Nakuru auf die Farm zurückkehrte.
    Der Bwana brauchte Zeitungen. Sie fütterten seinen Kopf und schmierten seine Kehle, und die erzählte dann Schauris, von denen kein Mensch in Ol' Joro Orok je gehört hatte.
    Auf dem Weg vom Haus zu den Flachsfeldern und zu den blühenden Pyrethrumplantagen erzählte der Bwana vom Krieg. Es waren aufregende Geschichten von weißen Männern, die einander töteten, wie es in alten Zeiten die Massai mit ihren friedlichen Nachbarn getan hatten, deren Vieh und Frauen sie begehrten. Kimanis Ohren liebten die Worte, die wie ein kräftiger junger Wind waren, aber seine Brust spürte auch, daß der
    Bwana beim Reden an einer alten Traurigkeit kaute, denn er hatte nicht daran gedacht, sein Herz mitzunehmen, als er zu seiner langen Safari nach Ol' Joro Orok aufgebrochen war. Einmal zog der Bwana aus seiner Hosentasche ein blaues Bild mit vielen bunten Flecken und zeigte mit dem Nagel seines längsten Fingers auf einen winzigen Punkt.
    »Hier, mein Freund«, sagte er, »ist Ol' Joro Orok«, und dann bewegte er den Finger ein wenig und sprach sehr langsam weiter. »Hier stand die Hütte von meinem Vater. Da komme ich nie wieder hin.«
    Kimani lachte, denn seine große Hand konnte ohne

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