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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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einer Schülerin, und noch dazu mit einer so kleinen, wie ein indischer Händler über Geld reden sollte, erschien ihm grotesk. Sein Sinn für Autorität und Würde gebot ihm, das Gespräch neu zu beginnen, wenn er es schon nicht beenden konnte, doch statt dessen fragte er: »Was hat der verfluchte Krieg damit zu tun?«
    »Als der Krieg kam«, berichtete Regina, »hatten wir genug Geld für die Schule. Wir brauchten es ja jetzt nicht mehr für meine Großmutter und meine Tante.«
    »Warum?«
    »Die können nicht mehr aus Deutschland nach Ol' Joro Orok kommen.«
    »Was machen die denn in Deutschland?«
    Regina spürte, daß ihr Gesicht brannte. Es war nicht gut, bei Angst die Farbe zu wechseln. Sie überlegte, ob sie nun erzählen mußte, daß ihre Mutter immer weinte, wenn jemand von Deutschland sprach. Vielleicht hatte Mr. Brindley noch nie von weinenden Müttern gehört, und bestimmt würden sie ihn stören. Er mochte ja noch nicht einmal weinende Kinder.
    »Vor dem Krieg«, schluckte sie, »haben meine Großmutter und meine Tante Briefe geschrieben.«
    »Little Nell«, sagte Mr. Brindley leise. Er war erstaunt, aber auch auf eine geradezu absurde Weise erleichtert, daß er endlich den Mut gefunden hatte, den Namen auszusprechen. Regina hatte ihn schon an Little Nell erinnert, als sie in sein Zimmer gekommen war, doch da hatte er sich noch gegen sein Gedächtnis wehren können. Merkwürdig, daß er nach all den Jahren ausgerechnet an diesen Roman von Dickens denken mußte. Er hatte ihn immer als einen seiner schlechtesten empfunden, zu sentimental, melodramatisch und ganz und gar unenglisch, nun erschien er ihm jedoch warmherzig und irgendwie auch schön. Es war schon kurios, wie sich die Dinge im Alter veränderten.
    »Little Nell«, wiederholte der Direktor mit einer Ernsthaftigkeit, die ihm absolut nicht mehr unangenehm war und ihn sogar erheiterte, »lernst du nur deshalb so gut, weil diese Schule so verdammt viel kostet?«
    »Ja, Sir«, nickte Regina. »Mein Vater hat gesagt: Du darfst unser Geld nicht zum Fenster hinauswerfen. Wenn man arm ist, muß man immer besser sein als die anderen.«
    Sie war zufrieden. Es war nicht leicht gewesen, Papas Worte in Mr. Brindleys Sprache zu bringen. Immerhin konnte er sich noch nicht einmal den Namen seiner Schülerinnen merken, und sicherlich hatte er auch noch nie von Menschen gehört, die kein Geld hatten, aber vielleicht hatte er sie doch verstanden.
    »Dein Vater, ich meine, was hat er in Deutschland gemacht?« Hilflosigkeit machte Regina wieder stumm. Wie sollte sie in Englisch sagen, daß Papa ein gewesener Rechtsanwalt war?
    »Er hat«, fiel ihr ein, »einen schwarzen Mantel angehabt, wenn er arbeitete, aber auf der Farm braucht er ihn nicht mehr. Er hat ihn Owuor geschenkt. Am Tag, als die Heuschrecken kamen.«
    »Wer ist Owuor?«
    »Unser Koch«, erzählte Regina und erinnerte sich mit Behagen an die Nacht, als ihr Vater geweint hatte. Warme Tränen ohne Salz. »Owuor ist von Rongai nach Ol' Joro Orok gelaufen. Mit unserem Hund. Er konnte nur kommen, weil ich Jaluo kann.«
    »Jaluo? Was zum Teufel ist denn das?«
    »Owuors Sprache«, erwiderte Regina überrascht. »Owuor hat nur mich auf der Farm. Alle anderen sind Kikuyus. Außer Daji Jiwan. Der ist Inder. Und wir natürlich. Wir sind Deutsche, aber«, sagte sie hastig, »keine Nazis. Mein Vater sagt immer: Menschen brauchen ihre eigene Sprache. Und Owuor sagt das auch.«
    »Du liebst deinen Vater sehr, nicht wahr?«
    »Ja, Sir. Und meine Mutter auch.«
    »Deine Eltern werden sich freuen, wenn sie dein Zeugnis sehen und deinen guten Aufsatz lesen.«
    »Das können sie nicht, Sir. Aber ich werde ihnen alles vorlesen. In ihrer Sprache. Die kann ich auch.«
    »Du kannst jetzt wieder gehen«, sagte Mr. Brindley und machte das Fenster auf. Als Regina fast schon an der Tür war, fügte er hinzu: »Ich glaube nicht, daß es deine Mitschülerinnen interessieren wird, was wir hier gesprochen haben. Du brauchst es ihnen nicht zu erzählen.«
    »Nein, Sir. Das wird Little Nell nicht tun.«
7
    Montags, mittwochs und freitags fuhr der Lastwagen, der zu breit für die enge Straße war und durch die zitternden Äste der Bäume getrieben werden mußte, von Thomson's Falls nach Ol' Joro Orok und lieferte in Pateis Laden außer den brauchbaren Dingen wie Paraffin, Salz und Nägel einen großen Sack mit Briefen, Zeitungen und Paketen ab. Kimani saß immer lange vor der Zeit der Entscheidung im Schatten der dichten Maulbeerbäume.

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