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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Mühe beide Punkte auf dem blauen Bild gleichzeitig berühren, und doch erkannte er, daß sein Kopf nicht begriffen hatte, was der Bwana ihm sagen wollte. Mit den Bildern in den Zeitungen, die Kimani aus Patels Laden holte, war das anders. Er ließ sie sich immer wieder vom Bwana zeigen und lernte sie auch deuten.
    Da gab es Häuser, die höher als Bäume waren, und doch wurden sie von den Gewehren aus den wütenden Flugzeugen niedergemacht wie der Wald vom Buschfeuer. Schiffe mit hohen Schornsteinen gingen im Wasser unter, als wären sie kleine Steine in einem nach dem großen Regen zu rasch angeschwollenen Fluß. Immer wieder zeigten die Bilder tote Männer. Manche lagen so ruhig auf der Erde, als wollten sie nach getaner Arbeit schlafen, andere waren geplatzt wie tote Zebras, die zu lange in der Sonne gelegen haben. Alle Toten hatten Gewehre neben sich liegen, aber die hatten ihnen nicht helfen können, denn im Krieg der gutbewaffneten Weißen hatte jeder Mann ein Gewehr.
    Sprach der Bwana vom Krieg, dann immer auch von seinem Vater. Nie schaute er dabei Kimani an; er schickte seine Augen zu dem hohen Berg, ohne daß sie den Kopf aus Schnee sehen. Wenn er sprach, redete er mit der Stimme eines ungeduldigen Kindes, das tags den Mond und nachts die Sonne haben will,  und sagte: »Mein Vater stirbt.«
    Die Worte waren Kimani so vertraut wie sein eigener Name, und, obwohl er sich Zeit ließ, ehe er seinen Mund aufmachte, wußte er doch, was er zu sagen hatte, und fragte: »Will dein Vater sterben?«
    »Nein, er will nicht sterben.«
    »Ein Mann kann nicht sterben, wenn er nicht will«, sagte Kimani dann jedesmal. Anfangs hatte er seine Zähne beim Sprechen gezeigt, wie er es immer tat, wenn er fröhlich war, doch mit der Zeit gewöhnte er sich an, einen Seufzer aus seiner Brust zu lassen. Es bekümmerte ihn, daß sein Bwana, der so viel wußte, nicht klug genug wurde, um zu begreifen, daß Leben und Tod nicht die Sache von Menschen war, sondern nur vom mächtigen Gott Mungo.
    Noch mehr als nach den Zeitungen mit den Bildern von den zerstörten Häusern und toten Männern verlangte es den Bwana nach Briefen. Über Briefe wußte Kimani genau Bescheid. Als der Bwana auf die Farm gekommen war, hatte Kimani noch geglaubt, ein Brief sei wie der andere. So dumm war er nicht mehr. Briefe waren nicht wie zwei Brüder, die zusammen aus dem Bauch ihrer Mutter gekommen waren. Briefe waren wie Menschen und nie gleich.
    Es kam auf die Briefmarke an. Ohne sie war ein Brief nur ein Stück Papier und konnte nicht auf die kleinste Safari gehen. Eine einzige Marke mit dem Bild eines Mannes, der helles Haar und das Gesicht einer Frau hatte, erzählte von einer Reise, die ein Mann mit seinen Füßen schaffen konnte. Gerade solche Briefe holte Kimani oft aus Patels Duka. Sie kamen aus Gilgil und waren von dem Bwana, der beim Lachen seinen dicken Bauch tanzen ließ und eine Memsahib hatte, die schöner als ein Vogel singen konnte.
    Die beiden kamen oft von Gilgil auf die Farm, und wenn der große Regen die Straße zu Lehm machte und die Freunde vom  Bwana nicht nach Ol' Joro Orok kommen konnten, schickten sie Briefe. Aus Nakuru kamen die Briefe von der Memsahib kidogo, die in der Schule schreiben lernte. Die gelben Kuverts hatten die gleiche Marke wie die aus Gilgil, aber Kimani wußte, wer den Brief geschrieben hatte, ehe der Bwana es ihm sagte. Bei denen von der kleinen Memsahib leuchteten seine Augen wie junge Flachsblüten, und nie roch seine Haut nach Angst.
    Weit gereist waren Briefe mit vielen Marken. Sobald der Bwana sie in Kimanis Hand sah, nahm er sich noch nicht einmal Zeit, die Luft aus seiner Brust zu lassen, ehe er den Umschlag aufriß und zu lesen begann. Und es gab eine Briefmarke, die allein mehr Kraft hatte als alle anderen zusammen, um den Bwana in Brand zu setzen. Auch sie zeigte einen Mann ohne Arme und Beine, aber er war nicht blond. Das Haar, das von seinem Kopf stürzte, war so schwarz wie das von dem stinkenden Hund Patel. Die Augen waren klein, und zwischen seiner Nase und dem Mund wuchs ein sauber gepflanzter, sehr niedriger Busch aus dichtem schwarzen Haar.  Kimani schaute sich gerade diese Marke gern und lange an.
    Der Mann sah aus, als wollte er reden und als hätte er eine Stimme, die schwer von einem Berg zurückprallen konnte. Sobald der Bwana die Marke sah, wurden seine Augen zu tiefen Löchern und er selbst so steif wie ein Mann, der von einem wild gewordenen Dieb mit einer frisch geschliffenen Panga

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