Nirgendwo in Afrika
bedroht wird und der vergessen hat, wie sich ein Mann wehren muß.
Das Bild von dem Mann mit dem Haar unter der Nase trieb das Leben aus dem Körper vom Bwana, und er schwankte wie ein Baum, der noch nicht gelernt hat, sich unter dem Wind zu ducken. Ehe der Bwana so einen Brief voll Feuer aufriß, rief er immer: »Jettel.« Seine Stimme wurde dünn wie die eines Tieres, das nicht mehr den Willen hat, dem Tod davonzulaufen.
Trotzdem wußte Kimani, daß der Bwana gerade die Briefe bekommen wollte, die ihm angst machten. Er war immer noch wie ein Kind, das nicht genug Ruhe hat, nur dazusitzen und den Tag wie feine Erde durch die Finger rieseln zu lassen, bis der Kopf auf die Brust fällt und der Schlaf kommt. Kimani trieb es Salz in die Kehle, wenn er daran dachte, daß der Bwa-na die Erregung brauchte, die ihn krank machte, um noch Kraft in seinen Gliedern zu spüren.
Schon lange war kein solcher Brief mehr gekommen. Als aber Kimani am Tag vor der großen Flachsernte bei Patel nach Post fragte, griff der Inder in das Holzregal an der Wand und holte einen Brief heraus, der Kimanis großen Hunger nach Vertrautheit nicht befriedigte. Er sah sofort, daß der Brief anders war als jeder andere, den er bis dahin nach Hause getragen hatte.
Das Papier war dünn und machte in Patels Hand Geräusche wie ein sterbender Baum im ersten Wind des Abends. Das Kuvert war kleiner als die Umschläge sonst. Die bunte Marke fehlte. Kimani sah statt dessen einen schwarzen Kreis mit dünnen kleinen Linien in der Mitte, die winzigen Eidechsen ähnelten. Ein rotes Kreuz leuchtete auf der rechten Ecke des Umschlags. Es sprang Kimani schon von weitem an wie eine Schlange, die zu lange gehungert hat. Einen Moment fürchtete er, das rote Kreuz könnte auch Patel gefallen und er würde ihm den Brief gar nicht erst geben. Der Inder stritt aber gerade mit einer Kikuyu-Frau, die ihren Finger zu tief in einen Sack Zuk-ker gesteckt hatte, und schob schimpfend den Brief über den dreckigen Tisch.
Erst im Wald blieb Kimani stehen, um, befreit von Patels bösen Augen, das Kreuz zu betrachten. Im Schatten leuchtete es noch heller als im Laden und war eine Freude für Augen, die selbst bei Tag unter den Bäumen immer nur die Farben der Nacht einfingen. Kniff Kimani das eine Auge zu und bewegte gleichzeitig seinen Kopf, fing das Kreuz zu tanzen an. Er lachte, als ihm aufging, daß er sich wie ein Affenkind benahm, das zum erstenmal eine Blume sieht.
Immer wieder fragte sich Kimani, ob das schöne rote Kreuz dem Bwana ebenso gut gefallen würde wie ihm oder ob es auch den bösen, brennenden Zauber hatte wie der Mann mit dem schwarzen Haar. Er konnte sich nicht entscheiden, so sehr er auch seinen Kopf zur Arbeit antrieb. Die Ungewißheit nahm ihm die Freude an dem Brief und machte die Beine schwer. Müdigkeit drückte seinen Rücken krumm und klebte in den Augen. Das Kreuz sah anders aus als im Laden und in der Zeit der langen Schatten. Es hatte sich die Farbe stehlen lassen.
Kimani erschrak. Er spürte, daß er die Nacht zu nahe an sich herangelassen hatte. Sie würde es ausnutzen, daß er ohne eine Lampe unterwegs war. Wenn er seinen Körper nicht stark machte und zur Eile antrieb, würde er die Hyänen hören, ehe er die ersten Felder sah. Das war nicht gut für einen Mann in seinem Alter. Er mußte das letzte Stück vom Weg rennen und, als er die ersten Felder erreichte, hatte er mehr Luft im Mund als in der Brust.
Die Nacht war noch nicht zur Farm gekommen. Vor dem Haus putzte Kamau die Gläser und fing den letzten roten Strahl Sonne ein. Er wickelte ihn in ein Tuch und ließ ihn wieder frei. Owuor saß auf einer Holzkiste vor der Küche und machte seine Nägel mit einer silbernen Gabel sauber. Er schickte seine Stimme zum Berg mit dem Lied, das Kimanis Haut immer zum Kochen und den Bwana zum Lachen brachte.
Die kleine Memsahib lief mit dem Hund zu dem Haus mit dem Herz in der Tür und sprang über das hohe gelbe Gras. Sie schwenkte die Lampe, die noch nicht angezündet war, als wäre sie so leicht wie ein Stück Papier. Kania schnitt mit seinem Besen runde Löcher in die Luft. Er kaute an einem Stöckchen, um seine Zähne, auf die er sehr stolz war, noch weißer zu po-lieren. Wie immer, wenn er auf Post lauerte, stand der Bwana bewegungslos wie ein Krieger, der den Feind noch nicht erblickt hat, vor dem Haus. Die Memsahib war neben ihm. Kleine weiße Vögel, die nur auf ihrem Kleid lebten, flogen zu den gelben Blumen auf dem schwarzen
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