Nirgendwo in Afrika
Süßkinds belebende Besuche, die einzige Schonzeit für angespannte Nerven, waren selten geworden. Tauchte er einmal doch aus seiner gesunden Welt auf und überbrachte Neues aus Nakuru und den durch keine Logik zu erschütternden Glauben, daß der Krieg nicht mehr länger als ein paar Monate dauern könnte, verschwand für eine kurze Gnadenfrist das Gitter vor dem Gefängnis der schwarzen Löcher. Nur noch Süßkind konnte Jettel in die Frau zurückverwandeln, die Walter aus guten Zeiten in Erinnerung hatte.
Der Gedanke an Süßkind beschäftigte ihn so intensiv, daß er sich mit größter Sorgsamkeit ausmalte, was er tun, sagen und zu hören bekommen würde, wenn Süßkind plötzlich vor ihm stünde. Er glaubte sogar, aus dem Küchengebäude Stimmen zu hören. Schon lange sträubte er sich nicht mehr gegen solche Erscheinungen. Wenn er nur ernsthaft genug auf sie einging, gaben sie ihm Kraft, für beseligende Momente die Gegenwart für seine Bedürfnisse umzugestalten.
Zwischen dem Haus und dem Küchengebäude bemerkte Walter vier Räder und darüber einen offenen Kasten. Irritiert kniff er die Augen zu, um sie vor dem Mittagslicht zu schützen. Außer Hahns Wagen hatte er so lange kein Auto mehr gesehen, daß er sich nicht entschließen konnte, ob es sich um ein Militärfahrzeug handelte oder um eine jener Täuschungen, die ihn in letzter Zeit immer wieder narrten. Das verlockende Bild wurde zunehmend deutlicher und Walter schließlich mit jedem Blick sicherer, daß tatsächlich ein Jeep zwischen der Zeder mit dem dicken Stamm und dem Wassertank stand.
Es erschien ihm nicht einmal unwahrscheinlich, daß ein Beamter von der Polizeistation in Thomson's Falls nach Ol' Joro Orok gefahren war und ihn am Ende wieder internieren wollte. Seltsamerweise hatte ausgerechnet die Landung der Alliierten in Sizilien einige Verhaftungen ausgelöst. Allerdings nur in der Umgebung von Nairobi und Mombasa. Die Vorstellung, auf die gleiche Art wie bei Kriegsausbruch von der Farm loszukommen, war Walter nicht unangenehm, aber in allen Konsequenzen konnte er sich dann doch nicht eine so abrupte Veränderung seines Lebens vorstellen.
Da hörte er Jettels aufgeregte Stimme. Sie war ihm fremd und doch auf eine beunruhigende Art vertraut. Jettel schrie abwechselnd: »Martin, Martin« und »Nein, nein, nein«. Rummler, der vorgelaufen war, bellte in jenen hohen, winselnden Tönen, die er nur für unbekannte Besucher hatte.
Noch während er rannte und dabei mehrere Male über die kleinen Wurzeln im hohen Gras stolperte, versuchte Walter dahinterzukommen, wann er den Namen zum letztenmal gehört hatte. Ihm fiel nur der Briefträger aus Leobschütz ein, der bis zuletzt, wenn er die Post gebracht hatte, freundlich geblieben war.
Der Mann war Juni 1936 trotz der ständig massiver werdenden Drohungen gegen Juden mit einer komplizierten Erbschaftssache zu Walter ins Büro gekommen. Bei der Begrüßung hatte er immer »Heil Hitler« gesagt und zum Abschied verschämt »Auf Wiedersehen«. Walter sah ihn mit einem Mal sehr deutlich. Karl Martin hieß er, hatte einen Schnurrbart und stammte aus Hochkretscham. Er hatte einige Morgen mehr als erwartet von dem Hof seines Onkels bekommen und war Weihnachten mit einer Gans im Asternweg erschienen. Natürlich erst, als er sicher war, daß ihn keiner sehen konnte. Anständigkeit brauchte die Dunkelheit zum Überleben.
Owuor lehnte sich aus dem winzigen Fenster des Küchengebäudes und badete seine Zähne in der Sonne. Er klatschte in die Hände. »Bwana«, rief er und schnalzte genauso mit der Zunge wie am Tag, als es den Wein gegeben hatte, »komm schnell. Die Memsahib weint, und der Askari weint noch viel mehr.«
Die Tür zum Küchengebäude stand offen, aber ohne die Lampe, die wegen des teuren Paraffins erst bei Sonnenuntergang angezündet wurde, war der Raum bei Tag fast so dunkel wie nachts. Es dauerte quälend lange, bis Walters Augen die ersten Umrisse ausmachten. Dann sah er, daß Jettel und der Mann, der tatsächlich die Mütze vom Briefträger aus Leob-schütz trug, eng umschlungen durch den Raum tanzten. Sie ließen einander nur los, um in die Luft zu springen und sich sofort wieder in die Arme zu fallen und sich zu küssen. Sosehr er sich anstrengte, konnte Walter nicht herausfinden, ob die beiden lachten, wie er zu hören glaubte, oder ob sie weinten, wie Owuor behauptet hatte.
»Da ist Walter«, schrie Jettel. »Martin, schau, Walter ist da.
Laß mich los! Du drückst mich ja tot. Er
Weitere Kostenlose Bücher