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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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fühlen konnte.
    Immer, wenn der Bwana zu reden anfing, sprach er vom Krieg. Durch diesen Krieg der mächtigen Mesungu im Land der Toten hatte Kimani mehr vom Leben erfahren als alle Männer seiner Familie vor ihm. Je mehr er aber vom gefräßigen Feuer lernte, das Leben schluckte, desto weniger wollten seine Ohren abwarten, bis der Bwana redete. Jedes Schweigen ließ sich aber so leicht zerschneiden wie frisch erlegte Beute mit einer gut geschärften Panga. Um den Hunger zu vertreiben, der ihn ständig quälte und nie im Bauch, brauchte Kimani nur eines der schönen Worte zu sagen, die er irgendwann einmal von Bwana gehört hatte.
    »El Alamein«, sagte Kimani am Tag, als sicher wurde, daß gerade die zwei kräftigsten Ochsen auf der Farm nicht mehr die Sonne würden untergehen sehen. Er dachte daran, wie der Bwana dieses Wort zum erstenmal gesagt hatte. Seine Augen waren sehr viel größer gewesen als sonst. Sein Körper hatte sich so schnell bewegt wie ein Feld von jungen Pflanzen, über das der Sturm bläst, doch er hatte immer wieder gelacht und später auch Kimani seinen Rafiki genannt.
    Rafiki war die Bezeichnung für einen Mann, der für einen anderen nur gute Worte hat und der ihm hilft, wenn das Leben ihn tritt wie ein verrückt gewordenes Pferd. Bis dahin hatte Kimani nie gewußt, daß der Bwana das Wort überhaupt kannte. Es wurde nicht oft gesagt auf der Farm und zu ihm noch nie von einem Bwana.
    »El Alamein«, wiederholte Kimani. Es war gut, daß der Bwana endlich begriffen hatte, daß ein Mann wichtige Dinge zweimal sagen mußte.
    »El Alamein ist schon ein Jahr her«, sagte Walter und hielt erst seine zehn Finger hoch und dann noch einmal zwei.
    »Und Tobruk?« fragte Kimani mit der leicht singenden Stimme, die sich ihm immer dann aufdrängte, wenn er in großer Erwartung war. Er lachte ein wenig, als ihm einfiel, wie lange er sich hatte abmühen müssen, ehe er die Laute aussprechen konnte. Sie waren in seinem Mund immer noch wie Steine, die gegen Wellblech geworfen wurden.
    »Auch Tobruk hat nicht viel geholfen. Kriege dauern lange, Kimani. Es wird immer weiter gestorben.«
    »In Bengasi sind sie auch gestorben. Du hast es gesagt.«
    »Sie sterben jeden Tag. Überall.«
    »Wenn ein Mann sterben will, darf ihn keiner festhalten, Bwana. Weißt du das nicht?«
    »Aber sie wollen nicht sterben. Keiner will sterben.«
    »Mein Vater«, sagte Kimani, ohne daß er aufhörte, an dem Grashalm zu reißen, den er aus der Erde holen wollte, »will sterben.«
    »Ist dein Vater krank? Warum hast du mir das nicht gesagt? Die Memsahib hat Medizin im Haus. Wir werden zu ihr gehen.«
    »Alt ist mein Vater. Er kann die Kinder von seinen Kindem nicht mehr zählen. Da braucht er keine Medizin mehr. Bald werde ich ihn vor die Hütte tragen.«
    »Mein Vater stirbt auch«, sagte Walter, »aber ich suche immer noch nach Medizin.«
    »Weil du ihn nicht vor die Hütte tragen kannst«, erkannte Kimani. »Das macht die Schmerzen in deinem Kopf. Ein Sohn muß bei seinem Vater sein, wenn er sterben will. Warum ist dein Vater nicht hier?«
    »Komm, das erzähle ich dir morgen. Es ist eine lange Schau-ri. Und keine gute. Heute wartet die Memsahib mit dem Essen.«
    »El Alamein«, versuchte es Kimani wieder. Es war immer richtig, auf einer abgebrochenen Safari noch einmal zum Anfang eines Pfads zurückzukehren. Am Tag der sterbenden Ochsen hatte das Wort aber seinen Zauber verloren. Der Bwana schloß seine Ohren und machte auch den Mund auf dem langen Weg bis zum Haus nicht mehr auf.
    Kimani merkte, daß seine Haut kalt wurde, obwohl die Sonne für die Erde und Pflanzen in der Mittagszeit mehr Hitze hatte, als sie brauchten. Es war nicht immer gut, vom Leben jenseits der Hütten zu viel zu wissen. Es machte einen Mann schwach und seine Augen müde, ehe seine Zeit gekommen war. Trotzdem wollte Kimani wissen, ob die hungrigen weißen
    Krieger auch so alten Männern wie dem Vater vom Bwana zum Sterben ein Gewehr in die Hand gaben. Er bekam jedoch die Worte, die an seine Stirn klopften, nicht in die Kehle, und spürte nur noch, daß seine Beine ihm Befehle gaben. Kurz vor dem Haus rannte er davon, als sei ihm eine Arbeit eingefallen, die er vergessen hatte und noch fertigmachen mußte.
    Walter blieb so lange im hellen Schatten der Dornakazien stehen, bis er Kimani nicht mehr sehen konnte. Das Gespräch hatte sein Herz zum schnellen Schlag gedrängt. Nicht nur, weil von Krieg und Vätern die Rede gewesen war. Es war ihm wieder einmal

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