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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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kennenlernst. Sie würde dir gefallen.«
    »Warum in aller Welt soll ich sie nicht kennenlernen? Dazu bin ich doch hergekommen.«
    »Sie ist doch in der Schule.«
    »Wenn's sonst nichts ist. Da fällt mir bestimmt was ein.«
    Martins Vater, ein Viehhändler in einem kleinen Dorf bei Neisse, war ein kaisertreuer Patriot gewesen und hatte darauf bestanden, daß alle seine fünf Söhne - »genau wie die von Wilhelm II.«, wie er nie zu erwähnen vergaß - vor dem Studium, für das er sich alle eigenen Bedürfnisse versagte, ein Handwerk erlernten. Martin machte vor dem ersten juristischen Staatsexamen seine Gesellenprüfung als Schlosser.
    Als Jüngster der Brüder lernte er früh, sich zu behaupten, und war stolz auf seinen unbeugsamen Willen. Er galt auch unter guten Freunden als zänkisch. Sein Hang, Banalitäten hochzuspielen und sich nichts bieten zu lassen, hatte Walter und Jettel immer imponiert und wurde nun in Ol' Joro Orok für alle drei die Quelle fröhlichster Erinnerungen.
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft wir von dir ge-sprochen haben.«
    »Doch«, sagte Martin, »wenn ich mich hier umsehe, wird mir klar, daß ihr nur von der Vergangenheit sprecht.«
    »Wir haben oft Angst gehabt, daß du nicht mehr aus Prag herausgekommen bist.«
    »Ich war fort aus Prag, ehe es dort brenzlig wurde. Arbeitete damals bei einem Buchhändler, mit dem ich nicht auskam.«
    »Und dann?«
    »Erst ging ich nach London. Als der Krieg ausbrach, haben die mich interniert. Die meisten von uns kamen auf die Insel Man, doch konnte man auch für Südafrika optieren. Falls man ein Handwerk erlernt hatte. Mein seliger Vater hatte eben recht. Handwerk hat goldenen Boden. Mein Gott, wie lange habe ich den Satz nicht mehr gehört.«
    »Und warum bist du zur Armee gegangen?«
    Martin rieb sich die Stirn. Das hatte er immer getan, wenn er verlegen war. Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch und sah sich mehrmals um, als wollte er etwas verbergen. »Ich wollte einfach was tun«, sagte er leise. »Das ging los, als ich durch einen Zufall erfuhr, daß sie meinen Vater noch kurz vor seinem Tod ins Gefängnis geschleppt und ihm ein Verhältnis mit einer unserer Mägde angehängt hatten. Da spürte ich zum erstenmal, daß ich nicht aus dem harten Holz war, das ich an mir so schätzte. Irgendwie war es mir, als hätte Vater mich gern als Soldat gesehen. Pro patria mori, falls du dich erinnerst, was das heißt. Das alte Vaterland hat solche Opfer ja nie von mir verlangt. Im Ersten Weltkrieg war ich zu jung, und den jetzigen hätte ich nicht erlebt, wenn mir das teure Vaterland nicht rechtzeitig einen Tritt gegeben hätte. Das neue denkt Gott sei Dank anders über Juden.«
    »Habe ich noch nicht bemerkt«, sagte Walter. »Jedenfalls«, schränkte er ein, »nicht hier in Kenia. Hier nehmen sie nur die Österreicher. Das sind inzwischen Friendly Aliens. Wo wirst du denn überhaupt eingesetzt?«
    »Keine Ahnung. Auf alle Fälle habe ich ganz plötzlich drei Wochen Urlaub bekommen. Das deutet meistens auf Front hin. Mir ist es egal.«
    »Wie sprechen sie denn deinen Namen beim Militär aus?«
    »Ganz einfach, Barret. Ich heiße nicht mehr Batschinsky. Ich hatte unwahrscheinliches Glück mit meiner Naturalisation. Das dauert sonst Jahre. War ein bißchen Beamtenbestechung dabei. Ich habe mit einem Mädchen poussiert, das meinen Antrag aus dem Aktenberg geholt und nach oben gelegt hat.«
    »Das könnte ich nie!«
    »Was von all dem?«
    »Meinen Namen aufgeben. Und mein Vaterland.«
    »Und mit fremden Damen ein Verhältnis anfangen. Ach, Walter, du warst von uns beiden immer der bessere Mensch und ich der Klügere.«
    »Wie hast du uns überhaupt gefunden?« fragte Jettel beim Abendessen.
    »Ich wußte schon 1938, daß ihr in Kenia gelandet seid. Lie-sel hat mir das nach London geschrieben«, sagte Martin und rieb sich wieder mit zwei Fingern die Stirn. »Vielleicht hätte ich ihr helfen können. Die Engländer nahmen damals noch unverheiratete Frauen auf. Aber Liesel wollte den Vater nicht allein lassen. Habt ihr noch was von ihnen gehört?«
    »Nein«, sagten Walter und Jettel zusammen.
    »Tut mir leid. Aber mal mußte ich ja fragen.«
    »Von meiner Mutter und Käte kam noch ein Brief. Sie sollten nach Osten gebracht werden.«
    »Tut mir leid. Mein Gott, was man doch für einen Blödsinn redet!« Martin schloß seine Augen, um die Bilder zu verdrängen, aber er mußte es trotzdem zulassen, daß er die sechzehnjährige Jettel in ihrem ersten

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