Nirgendwo in Afrika
denkt bestimmt auch, daß du ein Gespenst bist.«
Walter fiel endlich auf, daß der Mann eine Khakiuniform und eine englische Militärmütze trug. Dann hörte er ihn rufen. Noch vor dem Gesicht erkannte er die Stimme. Erst brüllte sie: »Walter«, und dann flüsterte sie: »Ich glaub, ich werd verrückt. Daß ich das noch erlebe.«
Das Würgen rutschte so rasch aus der Kehle in den Magen, daß Walter keine Zeit mehr hatte, sich am Küchentisch aufzustützen, ehe ihm die Beine einknickten, doch er fiel nicht hin. Benommen von einem Glück, das ihn mehr aufwühlte, als es je die Angst getan hatte, legte er seinen Kopf auf Martin Bat-schinskys Schulter. Er konnte es nicht fassen, daß der Freund in den sechs langen Jahren, die seit ihrem letzten Beisammensein vergangen waren, so gewachsen war.
Owuor rieb seine Haut mit dem Gelächter und den Tränen von der Memsahib, seinem Bwana und dem schönen Bwana Askari ein. Er befahl Kamau, den Tisch und die Stühle unter den Baum mit dem dicken Stamm zu stellen, an dem sich der Bwana immer den Rücken rieb, wenn er die Schmerzen hatte, die seine Haut weiß wie das Licht vom jungen Mond machten. Obwohl das Geschirr nicht schmutzig war, mußte Kania alle Teller, Messer und Gabeln in der großen Wanne baden. Owuor selbst trug das Kanzu, das er nur anzog, wenn ihm Gäste gut gefielen. Um das lange weiße Hemd, das über seine Füße reichte, band er die rote Schärpe. Ihr Tuch war so weich wie der Körper eines frisch geschlüpften Kükens. Genau auf Owu-ors Bauch standen die Worte, die der Bwana geschrieben und denen die Memsahib aus Gilgil mit einer dicken Nadel und einem goldenen Faden die Farbe der Sonne gegeben hatte.
Als der Bwana Askari Owuor mit dem dunkelroten Fez, von dem die schwarze Bommel schaukelte, und der gestickten Schärpe sah, wurden seine Augen groß wie die einer Katze bei
Nacht. Dann lachte er so laut, daß seine Stimme dreimal von den Bergen zurückprallte.
»Mein Gott, Walter, du bist noch ganz der alte. Was hätte sich dein Vater gefreut, diesen Kaffer mit dem Deckel auf dem Kopf in einer Schärpe mit der Aufschrift >Redlichs Hotel< zu sehen. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letztemal an Soh-rau gedacht habe.«
»Ich schon. Vor einer Stunde.«
»Heute«, sagte Jettel, »denken wir überhaupt nicht mehr. Wir schauen immer nur Martin an.«
»Und zwicken uns, damit wir wissen, daß wir leben.«
Sie hatten einander in Breslau kennengelernt. Walter war im ersten und Martin im dritten Semester gewesen und beide Jettels wegen bald aufeinander so eifersüchtig, daß es ohne den Silvesterball von 1924 um ein Haar zu einer lebenslangen Feindschaft statt zu ihrer außergewöhnlichen Freundschaft gekommen wäre. Das Band wurde erst mit Martins überstürzter Flucht nach Prag im Juni 1937 zerschnitten. Bei dem Ball, den später alle drei als schicksalhaft empfanden, hatte Jettel sich für einen gewissen Doktor Silbermann entschieden und ihren beiden jungen Kavalieren ohne irgendwelche Erklärungen den Laufpaß gegeben.
Der Stachel saß bei den beiden gleich tief. Bis Silbermann sechs Monate später die Tochter eines vermögenden Juweliers aus Amsterdam heiratete, hatten Martin und Walter den ersten Liebeskummer ihres Lebens einander so erträglich gemacht, daß von den Rivalitäten nur die auf Silbermann übriggeblieben war. Nach einem halben Jahr war es Walter, der Jettel tröstend in seine Arme schloß.
Martin war nicht der Mann, der eine Kränkung vergaß, aber die Freundschaft mit Walter war schon zu fest, um sie nicht auch auf Jettel zu übertragen. Er verlebte viele Semesterferien in Sohrau, denn eine Zeitlang sah es danach aus, als würde er vielleicht Walters Schwager werden, aber Liesel ließ sich zuviel Zeit mit ihrer Entscheidung, und Martin hatte zuwenig Talent für Schwebezustände und gab seine Bemühungen auf. Statt dessen wurde er Jettels Trauzeuge. Nachdem er 1933 seine Anwaltspraxis in Breslau aufgeben mußte und Vertreter für eine Möbelfirma wurde, kam er sehr oft nach Leobschütz, um die Illusion zu genießen, es hätte sich doch nicht alles in seinem Leben verändert. Die meiste Zeit verwöhnte er Jettel mit jenen fantasievollen Komplimenten, die Walters alte Eifersucht neu entflammten, und er war vernarrt in Regina.
»Ich glaub, sie hat Martin gesagt, ehe sie Papa sagte«, erinnerte er sich.
»Ich habe dich immer um dein schlechtes Gedächtnis beneidet. So etwas ist für uns heute Gold wert. Schade, daß du Regina nicht
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