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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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gewohnter militärischer Routine beizukommen war.
    Whidett empfand den Befehl aus London als eine fast schon unzumutbare Veränderung einer bis dahin allgemein befriedigenden Situation. Ihr verdankte die Kolonie immerhin, daß die  Leute vom Kontinent in ihrer Mehrzahl gut auf den Farmen des Hochlands aufgehoben waren. Dort stellten sie auf keinen Fall ein Sicherheitsrisiko dar und waren zudem auch eine wirkliche Hilfe für jene britischen Farmer, die bei der Armee dienten, ohne daß Offiziere wie Whidett sich zuvor mit ihren Anschauungen und ihrer Vergangenheit hatten beschäftigen müssen.
    Den nun in Frage kommenden Personenkreis in einem so weitläufigen und verkehrsmäßig nicht für Kriegszeiten gut genug erschlossenen Land wie Kenia in den Dienst Seiner Majestät zu berufen, war gewiß für die Betroffenen weitaus umständlicher als vom grünen Tisch des Mutterlands gedacht. Im Offizierskasino von Nairobi, in dem Whidett, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, nicht über dienstliche Dinge zu diskutieren, von seinen Sorgen sprach, machte bald das Bonmot »Germans to the Front« die Runde. Der Colonel empfand den ärgerlichen Geistesblitz nicht nur als Herausforderung an seinen urbritischen Sinn für Humor, sondern als eine Perfidie, die schamlos seine Ratlosigkeit bloßlegte. Er wußte nicht, wie er die »fucking Jerries« erreichen konnte; er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie er ihre Gesinnung erforschen sollte.
    Sein in diesem Fall leider zu gut funktionierendes Gedächtnis machte ihm überdeutlich klar, daß es sich in den allermeisten Fällen um Leute mit reichlich verworrenen Lebensgeschichten handelte, die ihm ja auch schon den Kriegsausbruch vergällt hatten. Im intimsten Kreis gab er unumwunden zu, daß der Beginn des Kriegs, zumindest in dieser Beziehung, eine »feine Fingerübung« im Vergleich zu dem Dilemma gewesen sei, das er auch im Februar 1944, also volle zwei Monate nach der Londoner Anweisung, noch nicht gelöst hatte.
    »1939«, so befand Whidett mit seinem bewunderten Sinn für Sarkasmus, »wurden einem die Burschen noch auf Lastwagen angeliefert, und wir konnten sie ins Camp stecken. Jetzt erwartet Mr. Churchill offenbar, daß wir zu ihnen auf die Farmen fahren und persönlich nachsehen, ob sie noch Sauerkraut fressen und Heil Hitler sagen.«
    Merkwürdigerweise waren es dann ausgerechnet die nostalgischen Erinnerungen an den Kriegsanfang, die den Colonel auf den rettenden Ausweg brachten. Im genau passenden Moment erinnerte er sich an die Familie Rubens und somit an die bemerkenswerten Leute, die sich 1939 so wortgewaltig für die Freilassung der internierten Refugees eingesetzt hatten. Durch akribisches Studium der Unterlagen stieß der Colonel auch auf die leider wieder benötigten Namen.
    In einem Brief, den er nicht ohne Unbehagen schrieb, weil er zu befehlen und nicht zu bitten gewohnt war, nahm Whidett Kontakt mit dem Haus Rubens auf; bereits zwei Wochen später fand eine sehr entscheidende Unterredung in seinem Dienstzimmer statt. Verblüfft erfuhr der Colonel, daß vier der Söhne der in seinen Augen noch immer zu expressiven, aber nun wiederum recht nützlichen Familie Rubens beim Militär waren. Einer davon war in Burma, was ja wahrlich nicht als das Paradies der Drückeberger galt, und einer bei der Airforce in England. Archie und Benjamin waren vorerst in Nairobi stationiert. David lebte zu Hause beim Vater, was für Whidett zwei zusätzliche Berater bedeutete.
    »Ich glaube«, sagte Whidett zu den vier Männern, von denen er fand, genau wie bei der ersten Begegnung, daß sie seinem Konferenzraum einen etwas zu fremdartigen Anstrich gaben, »daß man die Dinge in London nicht bis ins letzte durchdacht hat. Ich meine«, fing er noch einmal und nicht ohne Verlegenheit an, weil er nicht recht wußte, wie er seine Vorbehalte in die richtigen Worte bringen sollte, »weshalb soll hier einer freiwillig in die verdammte Army gehen, wenn er nicht muß? Der Krieg ist doch weit.«
    »Nicht für die Menschen, die unter den Deutschen gelitten haben.«
    »Haben sie das?« fragte Whidett interessiert. »Soweit ich mich zu erinnern glaube, waren die meisten doch schon hier, als der Krieg ausbrach.«
    »In Deutschland brauchte man nicht erst den Krieg abzuwarten, um unter den Deutschen zu leiden«, sagte der alte Rubens.
    »Gewiß nicht«, versicherte Whidett hastig, während er überlegte, ob der Satz wohl mehr Sinn haben könnte, als ihm aufgegangen war.
    »Warum glauben Sie, Sir, sind

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