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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Leute nicht mögen. Und keine Briefe aus Deutschland«, zählte Regina auf.
    »Tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe. Aber geschwindelt habe ich doch. Bei deinem Direktor. Ich komme nämlich von der Farm. Wir haben wunderschöne Tage ver-bracht, deine Eltern, ich, Kimani und Owuor. Und natürlich Rummler. Und da wollte ich nicht weg, ohne dich zu sehen.«
    »Warum?«
    »Ich muß wirklich in drei Tagen fort. In den Krieg. Weißt du, ich habe dich gekannt, als du noch ganz klein warst.«
    »Das war in meinem anderen Leben, und ich kann mich nicht daran erinnern.«
    »In meinem auch. Leider kann ich mich erinnern.«
    »Du redest wie Papa.«
    Martin war erstaunt, wie leicht es war, sich mit Regina zu unterhalten. Er hatte sich die üblichen Fragen zurechtgelegt, die ein Erwachsener, der keine Erfahrung mit Kindern hat, an sie richtet. Sie erzählte aber von der Schule auf eine Art, die ihn faszinierte, weil er Walters Humor der Jugendzeit wiedererkannte und zugleich mit einem Sinn für Ironie konfrontiert wurde, der ihn bei einer Elfjährigen verblüffte. Bald fand er sich auch so gut zurecht in dem zunächst verwirrend schnellen Wechsel von Fantasie zur Wirklichkeit, daß er ihr mühelos von einer Welt in die andere folgen konnte. Zwischen jeder Geschichte machte Regina lange Pausen, und, als sie seine Irritation bemerkte, klärte sie Martin auf, als sei er ein Kind und sie die Lehrerin.
    »Das hat mir Kimani beigebracht«, sagte sie, »es ist nicht gut für den Kopf, wenn der Mund zu lange offen ist.«
    Zwischen Thomson's Falls und Ol' Joro Orok, als die Straße immer enger, steiler und steiniger wurde, bat Regina: »Warten wir doch hier, bis die Sonne rot wird. Das ist mein Baum. Wenn ich ihn sehe, weiß ich, daß ich bald zu Hause bin. Vielleicht kommen die Affen. Da dürfen wir uns was wünschen.«
    »Ist ein Affe bei dir so etwas wie eine Fee?«
    »Es gibt ja gar keine Feen. Ich tu nur so. Das hilft, obwohl Papa sagt, nur die Engländer dürfen träumen.«
    »Also heute träumen wir beide. Dein Papa ist ein Narr.«
    »Aber nein«, widersprach Regina und kreuzte ihre Finger, »er ist ein Refugee.« Ihre Stimme war leise geworden.
    »Du liebst ihn sehr, nicht wahr?«
    »Sehr«, nickte Regina. »Mama auch«, sagte sie schnell. Sie sah, daß Martin, der sich an den dicken Stamm ihres Baumes lehnte, die Augen schloß und machte auch ihre zu. Die Ohren fingen die ersten Schauris der Trommeln auf und die Haut den aufkommenden Wind, obgleich sich das Gras noch nicht regte. Das Glück der Heimkehr machte ihren Körper heiß. Sie öffnete die Bluse, um kleine Seufzer freizulassen und freute sich an den Tönen der Zufriedenheit, die sie so lange entbehrt hatte.
    Die pfeifenden Töne weckten Martin. Er sah Regina zu lange an und merkte die Beunruhigung zu spät. Eine Weile machte er sich vor, die noch nie so stark erlebte Gewalt der Einsamkeit, die Geräusche, die er nicht deuten konnte, und der Wald mit den düsteren Riesen würden ihn verwirren, dann begriff er jedoch, daß es die längst vergessen geglaubten Erinnerungen waren, die ihn bedrängten.
    Als die Ziffern seiner Uhr einen schwarzen Kreis formten, der seine Augen mit violetten Funken traktierte, gab er endlich der berauschenden Lust nach und schaute zurück. Erst löste sich sein neuer englischer Name in Silben auf, die er nicht zusammenfügen konnte, und sofort danach war er wieder in Breslau und sah Jettel zum erstenmal. Martin wunderte sich ein wenig, daß sie nackt war, aber er empfand es als wohltuend, daß ihre schwarzen Locken einen Reigen tanzten. Noch aber war seine Vernunft stärker als sein Gedächtnis. Ehe die Bilder ihm endgültig den großen Krieg erklärten, fielen ihm jene sonderbaren Geschichten ein, die sich Männer aus Europa von Afrika erzählten. Sie alle fürchteten den Moment, wenn sie die Vergangenheit lähmte und ihnen das Gefühl für Zeit raubte.
    »Verdammte Tropen«, fluchte Martin. Er erschrak, als seine Stimme die Stille sprengte, doch als ihm nur ein Vogel Antwort gab, begriff er, daß er gar nicht laut gesprochen hatte; eine Zeitlang, die er nicht bemessen konnte, war es ihm genug, die sanfte Erleichterung als Rettung aus der Not zu genießen.
    Regina sah ihrer Mutter nicht ähnlich und war längst nicht so schön wie Jettel als junges Mädchen, aber sie war kein Kind. Die Ahnung, daß einige Geschichten immer wieder von vorne anfingen, ließ Martin seinen Herzschlag spüren. Jettel hatte ihm einst bewußt gemacht, daß er

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