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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Holz für den Ofen in die Küche. Deutlich erklang vom Wald das dumpfe Schlagen der Abendtrommeln. Die Luft war noch warm und weich von der eben untergegangenen Sonne, schon feucht von den ersten Perlen des Abendtaus. Vor den Hütten wurde Feuer angezündet, und laut bellend nahmen die Hunde der Schambaboys die Witterung der Hyänen auf, die zum Heulen ansetzten.
    Walter merkte, daß seine Finger klamm und die Kehle trok-ken waren. Die Augen brannten. Ihm war es, als sehe er die Bilder das erstemal und als habe er die vertrauten Laute noch nie zuvor gehört. Das Rasen seines Herzens machte ihn unsicher. Obwohl er sich zu wehren versuchte, spürte er den verhaßten, schneidenden, nicht zu erklärenden Schmerz des Abschieds, der auf ihn zukommen könnte.
    »Wie Faust«, sagte er zu laut und zu plötzlich, »zwei Seelen in der Brust.«
    »Wie wer?« fragte Süßkind.
    »Ach, nichts. Du kennst ihn nicht, der ist kein Refugee.«
    »Willst du«, fragte Archie, »es ihnen nicht endlich erklären?« Seine Stimme hatte die Ungeduld der Menschen aus der Stadt. Er merkte es und lächelte dem Hund im Wagen zu, aber Rummler sprang heraus und trieb knurrende Abwehr durch seine Zähne.
    »Nicht nötig«, beruhigte Süßkind, »sie wissen schon Bescheid. Wir hier draußen haben seit Monaten über nichts anderes nachgedacht.«
    »Habt ihr es so eilig, von den Farmen wegzukommen? Oder habt ihr Angst, daß der Krieg zu Ende ist, ehe ihr den Helden spielen dürft?«
    »Wir haben Familie in Deutschland.«
    »Sorry«, stammelte Archie, als er Süßkind ins Haus folgte. Er hatte das gleiche unangenehme Gefühl in den Knien wie als Junge, wenn ihn sein Vater wegen einer frechen Bemerkung getadelt hatte, und er spürte das Bedürfnis, sich hinzusetzen. Noch ehe er jedoch einen der Stühle erreichte, hob er den Kopf und sah sich um. Er betrachtete, erst zufällig und dann mit einer Gründlichkeit, die ihn erheiterte, eine Zeichnung vom Breslauer Rathaus. Das gelbe Papier war schwarz gerahmt.
    Archie war es nicht gewohnt, andere Bilder zu betrachten als das Porträt seines Großvaters im Eßzimmer und die Fotos seiner Kindertage und von den Jagdsafaris mit seinen Vettern aus London, doch der Bau mit den vielen Fenstern, dem imposanten Eingang, vor dem einige Männer in hohen Hüten standen, und dem Dach, das ihm sehr schön erschien, fesselte und irritierte ihn. Das Bild erschien ihm Teil einer Welt zu sein, von deren Existenz er nicht mehr wußte als die Hausboys seines Vaters von den jüdischen Feiertagen.
    Er empfand den Vergleich grotesk. Während er am Ärmel seiner Uniform mit der Krone über den drei Streifen aus weißem Stoff zupfte, überlegte er, ob die Airforce wohl schon Bomben auf die Stadt mit dem eindrucksvollen Haus abgeworfen hatte und ob sein Bruder Dan dabeigewesen war. Er wunderte sich ein wenig, daß der Gedanke ihm mißfiel; das Mißfallen ärgerte ihn. Es war schon zu spät, um noch zur nächsten Farm weiterzufahren.
    Jettel sagte Owuor, er solle Kaffee kochen; Archie war erstaunt, ihr fließendes Suaheli zu hören. Er fragte sich, weshalb er das nicht erwartet hatte, und er kam sich töricht vor, weil er keine Antwort fand. Als er sie anlächelte, ging ihm auf, daß sie schön war und ganz anders als die Frauen, die er aus Nairobi kannte. Genau wie das Bild in dem schwarzen Rahmen schien sie aus einer fremden Welt zu stammen.
    Dorothy, seine eigene Frau, hätte bestimmt kein Kleid auf einer Farm getragen, sondern Hosen und wahrscheinlich seine. Die roten Karos auf dem schwarzen Stoff von Jettels tief ausgeschnittenem Kleid begannen, sich vor Archies Augen aufzulösen, und, als er sich abwandte und wieder das Rathaus anschaute, war es ihm, als seien die vielen kleinen Fenster größer geworden. Er merkte, daß er im Begriff war, einen seiner Anfälle von Kopfschmerzen zu bekommen, und fragte, ob er einen Whisky haben könnte.
    »Für so etwas gibt es hier kein Geld«, sagte Süßkind.
    »Was hat er gesagt?« wollte Walter wissen.
    »Ihm gefällt euer Bild«, erklärte Süßkind.
    »Das Breslauer Rathaus«, sagte Jettel. Ihr fiel auf, daß Archie wieder »sorry« sagte, und diesmal war sie es, die ihm zulächelte, doch die Lampen waren noch nicht angezündet, und sie konnte nicht sehen, ob er ihren Blick erwiderte. Ihr wurde bewußt, daß ein solcher Austausch von kleinen Harmlosigkeiten in ihrer Jugend vielleicht der Beginn eines Flirts gewesen wäre, aber sie merkte vor der Zeit der Belebung, daß sie verlernt hatte,

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