Nirgendwo in Afrika
kokett zu sein.
Zum Abendessen gab es Reis mit scharf gebratenen Zwiebeln und getrockneten Bananen. »Bitte erkläre doch unserem Gast«, entschuldigte sich Jettel, »daß wir nicht auf Besuch vorbereitet waren.«
»Außerdem leben wir immer fleischlos, seitdem Regina so rücksichtslos war, aus ihren Schuhen herauszuwachsen«, sagte Walter. Er versuchte, mit einem Lächeln seine Ironie heiter zu machen.
»Das ist ein altes deutsches Nationalgericht«, übersetzte Süßkind und nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit das englische Wort für Schlesien im Lexikon nachzuschlagen.
Archie empfand es fast als körperliche Anstrengung, nicht in seinem Essen herumzustochern. Ihm fiel ein, daß er im dritten Jahr auf der Boarding School mal zu spät zum Essen gekommen war und wie er zur Strafe ein albernes Gedicht von einem dämlichen Mädchen, das keinen Reispudding mochte, hatte auswendig lernen müssen, aber er konnte sich nur an die erste Zeile erinnern. Die vergebliche Suche nach der zweiten beschäftigte ihn nicht lange genug.
Er nahm sich vor, den Reis und vor allem die salzigen Bananen unzerkaut hinunterzuschlucken, um weniger von ihnen schmecken zu müssen. Das wurde ihm leichter, als mit der Scham fertig zu werden, die sich ihm aufdrängte. Zunächst dachte er, nur sein Widerwillen gegen das ungewohnte Essen und die befremdende Atmosphäre hätten ihn empfindlich gemacht, aber unangenehm rasch wurde die Erkenntnis zur Last, daß seine Familie und die übrigen alteingesessenen Juden von Nairobi den Emigranten immer sehr bereitwillig mit Geld und guten Ratschlägen geholfen, sich jedoch nie Gedanken über deren Vergangenheit, Leben, Sorgen und Empfindungen gemacht hatten.
Hinzu kam, daß es Archie immer peinlicher wurde, jedes Wort an seine Gastgeber erst an Süßkind zur Übersetzung richten zu müssen. Er hatte ein geradezu unsinniges Verlangen nach Whisky und kam sich gleichzeitig vor, als habe er drei Doppelte in einen nüchternen Magen gekippt. Ihm war es, als sei er wieder Kind und beim Lauschen an der Tür ertappt worden. Es hatte lange gedauert, ehe man ihm das abgewöhnt hatte. Endlich gab er den Kampf um seine Selbstbeherrschung verloren und sagte, er sei müde. Erleichtert nahm er den Vorschlag an, sich in Reginas Zimmer zurückzuziehen.
Süßkind starrte ins Feuer, Jettel kratzte die letzte Spur vom Reis aus der Schüssel und schob Rummler einen Bissen in die Schnauze, Walter ließ ein Messer um die eigene Achse kreisen. Es war, als warteten alle drei nur auf ein Zeichen, um sich in die heitere Unbefangenheit von Süßkinds üblichen Besuchen zu stürzen, aber das Schweigen war zu groß; die Erlösung kam nicht. Sie spürten es alle, auch Süßkind, und er wunderte sich sehr, daß sie verlernt hatten, Veränderungen hinzunehmen. Schon die Möglichkeit, daß das Leben in neuen Bahnen verlaufen könnte, machte ihnen angst. Es war leichter geworden, Fesseln zu ertragen, als sie zu zerschneiden. Tränen, von denen sie noch nicht einmal wußte, daß sie schon in ihren Augen waren, brachen aus Jettel heraus.
»Wie kannst du uns das antun?« schrie sie. »Einfach im Krieg zu fallen, nach allem, was wir durchgemacht haben? Was soll aus mir und Regina werden?«
»Jettel, mach bloß keine deiner Szenen. Die Army hat mich noch nicht einmal genommen.«
»Aber sie wird. Warum soll ausgerechnet ich mal Glück ha-ben?«
»Ich bin vierzig«, sagte Walter. »Warum soll ausgerechnet ich einmal Glück haben? Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Engländer nur auf mich gewartet haben, um endlich den Krieg zu gewinnen.«
Er stand auf und wollte Jettel streicheln, doch er spürte keine Wärme in seinen Händen, ließ seine Arme fallen und ging zum Fenster. Der vertraute Geruch, der den feuchten Holzwänden entströmte, erschien ihm mit einem Mal sanft und süß. Sein Blick sah nur Dunkelheit, und dennoch ahnte er die Schönheit, die sonst nur Reginas Augen froh machte. Wie sollte er es ihr sagen? Zu spät merkte er, daß er laut gesprochen hatte.
»Um Regina brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, weinte Jettel, »sie betet jeden Abend, daß du zur Armee kannst.«
»Seit wann?«
»Seitdem Martin hier war.«
»Das habe ich nicht gewußt.«
»Und daß sie in ihn verliebt ist, weißt du wohl auch nicht.«
»Quatsch.«
»Sie hat nichts vergessen, was Martin je zu ihr gesagt hat. Sie klammert sich an jedes Wort. Du mußt ihn gebeten haben, sie auf den Abschied von unserer Farm vorzubereiten. Ihr habt doch
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