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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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immer unter einer Decke gesteckt.«
    »Soweit ich mich erinnere, warst du es, der mit Martin unter die Decke gekrochen ist. Sie war blau. Martin übrigens auch. Glaubst du wirklich, daß ich nicht mehr weiß, was damals in Breslau passiert ist?«
    »Nichts ist damals passiert. Du warst nur wieder mal grundlos eifersüchtig. Wie immer.«
    »Kinder, streitet euch nicht. Hier ist jedenfalls etwas Gutes geschehen«, sagte Süßkind, »Archie hat mir erzählt, wie die Dinge laufen werden. Du wirst vor eine Kommission gerufen und mußt sagen, warum du zur Army willst. Und sei bloß kein Narr. Daß ihr beide auf der Farm verreckt, wollen die Engländer bestimmt nicht hören.«
    »Ich will ja gar nicht von der Farm weg«, schluchzte Jettel, »die Farm ist mein Zuhause.« Sie war sehr zufrieden, daß sie ohne zu große Anstrengung Lüge, Kindlichkeit und Trotz in ihre Stimme und ihr Gesicht geholt hatte, doch dann wurde ihr klar, daß Walter das schöne alte Spiel durchschaut hatte.
    »Jettel hat unsere ganze Emigration damit verbracht, nach den Fleischtöpfen Ägyptens zu jammern«, sagte Walter. Er sah nur Süßkind an. »Natürlich will ich von der Farm weg, aber das ist es nicht allein. Zum erstenmal seit Jahren habe ich das Gefühl, daß ich gefragt werde, ob ich etwas tun will oder nicht, und daß ich etwas für meine Überzeugung tun kann. Mein Vater hätte gewollt, daß ich zur Army gehe. Er hat ja auch seine Pflicht als Soldat getan.«
    »Ich denke, du magst die Engländer nicht«, hielt ihm Jettel vor. »Warum willst du dann für sie fallen?«
    »Herrgott, Jettel, ich bin noch nicht tot. Außerdem sind es die Engländer, die mich nicht mögen. Aber wenn sie mich haben wollen, will ich dabei sein. Vielleicht kann ich dann eines Tages wieder in den Spiegel sehen, ohne mir wie der letzte Nebbich vorzukommen. Wenn du es genau wissen willst, habe ich mir immer gewünscht, Soldat zu sein. Vom ersten Kriegstag an. Owuor, was machst du da, warum schmeißt du so ein großes Stück Holz ins Feuer? Wir gehen doch bald ins Bett.«
    Owuor hatte seine Anwaltsrobe angezogen. Er legte leise pfeifend noch einige Äste in den Kamin, holte warme Luft aus seinen Lungen in den Mund und fütterte zärtlich die Flammen. Dann stand er so langsam auf, als müßte er jedes einzelne Glied erst zum Leben erwecken. Geduldig wartete er, bis auch für ihn die Zeit zum Reden gekommen war.
    »Bwana«, sagte er und genoß schon im vorhinein das große Staunen, auf das er seit der Ankunft vom Bwana Askari gelauert hatte. »Bwana«, wiederholte er und lachte wie eine Hyäne, die Beute gefunden hat, »wenn du von der Farm gehst, komme ich mit. Ich will dich nicht wieder suchen wie an dem Tag, als du in Rongai auf Safari gegangen bist. Die Memsahib braucht ihren Koch, wenn du zu den Askaris gehst.«
    »Was sagst du da? Woher weißt du?«
    »Bwana, ich kann Worte riechen. Und die Tage, die noch nicht gekommen sind. Hast du das vergessen?«
13
    Am Morgen des 6. Juni 1944 saß Walter zwei Stunden vor dem Weckruf in der leeren Mannschaftsmesse. Durch die schmalen, offenen Fenster kroch die belebende Kühle der mondgelben Nacht und verdampfte in den Holzwänden, die für kurze, unerwartet erfreuliche Augenblicke so frisch rochen wie die Zedern von Ol' Joro Orok. Für Walter war die Zeit zwischen Dunkelheit und Dämmerung ein willkommenes Geschenk seiner Schlaflosigkeit und ideal, um Gedanken und Bilder zu entwirren, Briefe zu schreiben und ungestört von den argwöhnischen Blicken jener Soldaten, die das Glück des richtigen Geburtslandes hatten und zu wenig Fantasie, um es auch zu schätzen, Nachrichten in deutscher Sprache zu suchen. Er stopfte das grobe Khakihemd, das weit besser für den Krieg im europäischen Winter als für die heißen Tage am Südrand des Sodasees von Nakuru geeignet war, in die Hose und genoß seine Zufriedenheit als das erregendste Erlebnis der neuen Sicherheit.
    Nach seinen ersten vier Wochen beim Militär hatte er sich noch immer nicht genug an das fließende Wasser, das elektrische Licht und die Erfülltheit der Tage gewöhnt, um sie nicht bewußt als lang entbehrte Wohltaten zu genießen. Es war ihm eine kindische Freude, in seiner Freizeit zur Schreibstube zu gehen und dort den Telefonapparat anzuschauen. Manchmal nahm er sogar den Hörer in die Hand, um sich am Ton des Freizeichens zu freuen.
    Er genoß es jeden Tag aufs neue, Radio zu hören und sich keine Gedanken um die Batterie machen zu müssen. Als der Zahnarzt der

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