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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Kompanie ihm grob und ungeschickt die zwei Zähne zog, die ihn seit den ersten Tagen in Ol' Joro Orok geplagt hatten, empfand er selbst den Schmerz noch als Beweis, daß er es weit gebracht hatte - er brauchte sich nicht um die Rechnung zu sorgen. Wann immer seine körperliche Erschöpfung es zuließ und seit ein paar Tagen die heftigen Schweißausbrüche, gönnte er sich den Genuß, pedantisch die Bilanz seines abermals abrupt veränderten Lebens zu ziehen.
    Walter hatte in einem Monat mehr gehört, geredet und selbst gelacht als in den fünf Jahren auf den Farmen in Rongai und Ol' Joro Orok. Er aß vier Mahlzeiten am Tag, zwei davon mit Fleisch, die ihn nichts kosteten, hatte Wäsche, Schuhe und mehr Hosen, als er brauchte, konnte seine Zigaretten zum Billigtarif für Soldaten kaufen und hatte Anspruch auf eine Wochenration Alkohol, die ihm ein Schotte mit Schnurrbart schon zweimal gegen drei freundliche Schläge auf den Rücken abgehandelt hatte. Von seinem Sold als Private der British Army konnte er Reginas Schule bezahlen und Jettel noch ein Pfund nach Nairobi schicken. Außerdem bekam sie einen monatlichen Zuschuß von der Army. Vor allem lebte Walter ohne Furcht, daß jeder Brief die Kündigung seiner ungeliebten Stellung bedeuten und ihn vernichten könnte.
    In einem Spind lagen Papier und Briefumschläge; zwischen leeren Flaschen und vollen Aschenbechern stand ein Tintenfaß, daneben lag ein Federhalter. Bei dem Gedanken, daß er sich nur zu bedienen brauchte und die Army auch seine Post frankieren und befördern würde, fühlte er sich so satt wie der hungrige Bettler vor dem Berg aus süßem Brei im Schlaraffenland. An der Wand hing ein vergilbtes Foto von George VI. Walter lächelte dem ernst blickenden König zu. Ehe er die eingetrocknete Tinte mit Wasser anrührte, zählte er die Tropfen, die aus dem Hahn in das rostige Becken fielen, und pfiff die Melodie von »God Save the King«.
    »Meine geliebte Jettel«, schrieb er und legte, ein wenig erschrocken, als hätte er das Schicksal provoziert und müßte sich nun dem Neid der Götter stellen, den Federhalter auf den Tisch. Ihm ging auf, daß er seit Jahren nichts Ähnliches zu seiner Frau gesagt und auch nicht so für sie empfunden hatte. Einen Moment überlegte er, ob die Zärtlichkeit, die ihm so selbstverständlich gekommen war, ihn freuen durfte oder beschämen mußte, doch er fand keine Antwort.
    Trotzdem war er nicht unzufrieden mit sich selbst, als er weiterschrieb. »Du hast ganz recht«, kratzte er auf das gelbe Papier, »wir schreiben einander wieder Briefe wie damals, als Du in Breslau auf die Auswanderung gewartet hast. Nur daß wir jetzt alle drei in Sicherheit sind und in Ruhe abwarten können, was das Leben mit uns vorhat. Und ich finde, im Gegensatz zu Dir, wir müssen besonders dankbar sein und dürfen nicht klagen, nur weil wir uns umgewöhnen müssen. Da haben wir ja mittlerweile doch etwas Übung.
    Nun zu mir. Ich bin den ganzen Tag auf Trab und kann mir gar nicht vorstellen, wie die Engländer es so weit ohne mich bringen konnten. Die bilden uns so gründlich aus, als hätten sie nur auf die bloody Refugees gewartet, um endlich losschlagen zu können. Aus mir wollen sie, glaube ich, eine Mischung von Nahkämpfer und Maulwurf machen. Abends komme ich mir vor, als hätte ich wieder Malaria, aber das wird hoffentlich bald besser werden. Jedenfalls robbe ich den ganzen Tag durch Matsch und Schlamm und weiß am Abend manchmal nicht, ob ich überhaupt noch am Leben bin. Aber mach dir keine Sorgen. Dein Alter hält gut durch, und gestern kam es mir vor, als habe mir der Sergeant sogar zugeblinzelt. Allerdings schielt er wie der alte Wanja in Sohrau. Vielleicht wollte er mir sogar einen Orden verleihen, weil ich das alles mit Blasen an den Füßen durchstehen muß. Aber natürlich kann er meinen Namen nicht aussprechen und hat sich also nicht weiter geäußert.
    Falls Du Dich über die Blasen wunderst, sie haben mir viel zu enge Stiefel verpaßt, und ich kann nicht genug Englisch, um ihnen das zu sagen. Ich habe mir jedoch vorgenommen, keinen der anderen Refugees in meiner Unit (heißt Einheit) um Dolmetscherdienste zu bitten. Vielleicht lerne ich so doch noch Englisch. Außerdem mögen es die Ausbilder nicht, wenn man Deutsch spricht. Wenigstens haben sie von selbst gemerkt, daß die Mütze zu groß war und mir dauernd vom Kopf rutschte. Seit zwei Tagen kann ich also auch in Uniform wieder sehen. Du siehst, als Soldat hat man so seine

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