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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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in seine Glieder. Er machte einige groteske Sprünge und rannte danach zum Radio, kaum daß seine schweren Stiefel den Boden berührten. Sein Atem rasselte in zu kurzen und sehr heftigen Stößen, während er den Apparat zur vollen Lautstärke trieb. Eine für seinen blassen Teint sehr ungewöhnliche Röte machte eine für ihn ebenso ungewöhnliche Verblüffung sichtbar. Sergeant Pierce richtete sich umständlich zu seiner vollen Größe auf, legte beide Hände an die Hosennaht, leerte seine Lungen und schrie gellend: »They've landet.«
    Walter spürte sofort, daß Außergewöhnliches geschehen sein mußte und daß der Sergeant von ihm eine Reaktion erwartete, aber er traute sich noch nicht einmal, ihn anzusehen, sondern fixierte verlegen das Papier mit seiner Schrift.
    »Ajax«, sagte er schließlich, obwohl ihm klar war, daß Pierce ihn für einen Trottel halten mußte.
    »They've landed«, schrie der Sergeant noch einmal, »you bloody fool, they've landed.« Er versetzte Walter einen scharfen Hieb auf die Schultern, der bei aller Ungeduld nicht ohne Freundlichkeit war, zog ihn vom Stuhl hoch und stieß ihn vor die schlecht gedruckte Landkarte, die zwischen dem Bild des Königs und einer Aufforderung hing, nicht leichtfertig militärische Geheimnisse zu verraten. »Here«, brüllte er.
    »Hier«, wiederholte Walter, froh, daß er wenigstens einmal die gleichen Laute erwischt hatte wie Pierce. Ratlos sah er den fleischigen Zeigefinger des Sergeants an, der über die Karte
    fuhr und schließlich in Norwegen haltmachte.
    »Norway«, las Walter laut und beflissen vor und überlegte angestrengt, ob sich Norwegen in Englisch wirklich auf Ei reimte und was wohl ausgerechnet dort geschehen sein mochte.
    »Normandy, you damn'd fool«, verbesserte Pierce gereizt. Er schob den Zeigefinger erst nach Osten bis Finnland und dann nach Süden auf Sizilien zu und trommelte, weil Walter stumm blieb, danach mit der ganzen tätowierten Hand auf der Karte von Europa herum. Schließlich kam er auf die für einen Mann mit seiner Stimmkraft sehr fern liegende Idee, den Federhalter zu holen. Mit ungelenken Bewegungen malte er das Wort »Normandy«. Er beobachtete Walter voller Anspannung und hielt ihm, wie ein ängstliches Kind, die Hand hin.
    Walter ergriff sie schweigend und legte sanft den stark zitternden Zeigefinger von Sergeant Pierce auf die Küste der Normandie. Er selbst erfuhr jedoch erst beim Frühstück und durch den Radiohändler aus Görlitz, daß die Alliierten dort gelandet waren. Statt dem für die Rekruten anstehenden Geländemarsch in voller Ausrüstung befahl Sergeant Pierce Walter zum Tagesdienst in der Schreibstube, und, obgleich sein Gesicht nicht anders aussah als sonst auch, bildete sich Walter ein, er habe ihm damit etwas Gutes tun wollen.
    Zum Abendessen wurden Hammelbraten mit Minzsoße, nicht gar gekochte grüne Bohnen und ein dem Mirakel im fernen Frankreich angemessener, also ein sehr fetter und fester Yorkshire Pudding serviert - ein Festmahl, das es seit der Landung der Alliierten in Sizilien nicht mehr gegeben hatte. In der mit kleinen Union Jacks üppig geschmückten Messe wurde vor dem Essen erst »God Save the King« und »Rule Britannia« gesungen, beim Obstsalat mit warmer Vanillesauce »Keep the Homefires Burning«. Mit »It's a Long Way to Tipperary« erreichte die Begeisterung ihren ersten Höhepunkt.
    Bereits in den ersten Brandy, der aus Wassergläsern getrun-ken wurde, flossen wehmütige Tränen. Sergeant Pierce war in Hochstimmung und genoß in den Gesangspausen die Bewunderung seiner fröhlichen Männer und das Lob, daß er als erster vom Kriegsglück erfahren hatte, doch sein anerkannter Sinn für Fair play funktionierte ebensogut wie sein Gedächtnis. Der Sergeant erstickte jede Vermutung im Keim, er könnte sich so weit vergessen, um sich mit fremden Federn zu schmücken.
    Er bestand noch während des Essens und vor der aufs neue beglückenden Zusammenfassung der Tagesnachrichten auf einem kleinen Applaus für Walter, weil der sofort gewußt hatte, wo »bloody Normandy« war. Pierce übernahm es persönlich, dafür zu sorgen, daß Walters Glas nicht leer wurde.
    Immer wieder schenkte er ihm abwechselnd Brandy und Whisky ein und wurde noch aufgekratzter, als er ohnehin schon war, als der seltsame, stumme Kerl aus Europa endlich gelernt hatte, »Cheers« zu sagen und dazu noch in dem schönen Cock-ney-Akzent, der als eines der Markenzeichen des Sergeants galt.
    Walter empfand den Brandy als

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