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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Wohltat für seinen schon seit Tagen rebellierenden Magen und den Whisky als ideales Getränk, um das kalte, übel schmeckende Hammelfett gleichmäßig im Mund zu verteilen, wenn es ihm auch nach jedem Schluck schwerer wurde, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren, die er ohnehin nicht verstand. Er spürte zwar die Benommenheit im Kopf, aber auch ein angenehmes Rauschen in den Ohren, das ihn auf eine sehr beglückende Weise an seine Studentenzeit erinnerte und das er so lange als Zufriedenheit deutete, bis er merkte, daß er zu frieren begann. Zunächst war ihm das Gefühl nicht unangenehm, weil es seinen Kopf in dem dichten Dunst aus Alkohol, Tabak und Schweiß kühlte und die pochenden Schmerzen in den Schläfen erträglich machte.
    Dann aber schwankten zuerst die Möbel vor seinen Augen und bald auch die Menschen. Sergeant Pierce wurde mit geradezu frappierender Schnelligkeit immer größer. Sein Gesicht sah aus wie einer jener unverschämt roten Luftballons, denen Walter das letztemal beim Bordfest auf der »Ussukuma« begegnet war. Er fand es recht kindisch und vor allem enorm leichtsinnig, daß die Alliierten so billige Ballons bei der Landung in der Normandie eingesetzt hatten, um so mehr, weil die in zu kurzen Abständen platzten und sich in kleine Hakenkreuze auflösten, die dreist und laut »Gaudeamus igitur« sangen.
    Sobald der Gesang verstummte und der Ansturm der Bilder eine Weile nachließ, ging es Walter auf, daß er als einziger den Alkohol nicht vertrug. Das war ihm peinlich, und er versuchte, sich trotz seiner Schweißausbrüche so aufrecht wie möglich zu halten, indem er seinen Rücken gegen die Stuhllehne drückte und die Zähne aufeinanderbiß. Als er entdeckte, daß aus dem kalten Hammelfett heißes Blut in seinem Mund geworden war, wäre er gern aufgestanden, doch er sagte sich, gerade er als Refugee dürfe nicht unnötige Aufmerksamkeit auf sich lenken. So blieb er sitzen und grub seine Nägel in die Tischkante.
    Noch quälender als zuvor bedrängten ihn die neuen Geräusche; sie waren von solcher Heftigkeit, daß sie ihn lähmten. Walter hörte Owuor lachen und kurz darauf seinen Vater rufen, aber er konnte ihre Stimmen nicht lange genug unterscheiden, ehe sie in angstvolles Wimmern übergingen. Trotzdem war Walter unendlich erleichtert, seinen Vater sicher in der Normandie zu wissen, nur ein wenig bekümmert, daß ihm der Name seiner Schwester nicht mehr einfiel. Er durfte sie auf keinen Fall kränken, wenn auch sie nach ihm rief, aber die Anstrengung, sich rechtzeitig zu erinnern und sich nach so langer Zeit vor dem Vater zu rechtfertigen, weil er ihn und seine Tochter allein in Sohrau zurückgelassen hatte, ließ seinen Körper in der Hitze schmelzen. Walter wußte, daß dies nun die allerletzte Gelegenheit war, dem alten Rubens zu danken, weil er für Regina und Jettel gebürgt und sie aus der Hölle geholt hatte. Es war gut, daß er keine Kälte mehr in sich spürte. Mit einem Mal wurde es ihm leicht, aufzustehen und seinem Retter entgegenzugehen.
    Walter erwachte drei Tage später und dann nur für sehr kurze Zeit und nicht in der Militärbaracke, sondern im General Army Hospital in Nakuru. Als dies geschah, war Corporal Prudence Dickinson, von der Mehrzahl der Patienten wegen der beneidenswerten Beweglichkeit ihrer Hüften sehr bewundert und kurz Prue genannt, zufällig zur Stelle. Sie war indes nicht zu Gesprächen mit einem Mann aufgelegt, der in seinen störenden Anfällen des Fieberdeliriums ohne Zweifel Deutsch gesprochen und so ihr patriotisches Ohr mehr gekränkt hatte, als es der Feind selbst je hätte tun können.
    Prue wischte dennoch dem Kranken den Schweiß von der Stirn, strich mit den gleichen abwesenden Bewegungen sein Kissen und das olivgrüne Hospitalhemd glatt, schob ihm das Thermometer zwischen die Zähne und sagte, ganz gegen ihre Gewohnheit bei Patienten, die ihr mißbehagten, einen vollständigen Satz. Mit jener Selbstironie, die zwar nicht ihrem Intellekt und Sinn für Humor entsprach, die sie aber als einzige Waffe empfand, den sie ekelnden Dienst in der lausigen Kolonie erträglich zu machen, sagte sich Prue, daß sie sich die Mühe hätte sparen können. Walter war schon wieder eingeschlafen und hatte fürs erste die einzige Gelegenheit verpaßt, um zu erfahren, daß weder Whisky, Brandy noch Hammelbraten für seinen Zustand verantwortlich waren. Er hatte Schwarzwasserfieber.
    Sein Leben verdankte er der Reaktionsschnelligkeit von Sergeant Pierce, der

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