Nirgendwo in Afrika
Sorgen. Sie sind nur anders als bisher.
Dabei fällt mir ein, daß wir Regina unbedingt auf die wichtigste Veränderung in ihrem Leben aufmerksam machen müssen. Sie braucht jetzt nicht mehr jeden Abend zu beten, daß ich meine Stellung nicht verliere und kann sich ganz darauf konzentrieren, den lieben Gott um den Sieg der alliierten Sache zu bitten. Sie hat natürlich keine Ahnung, daß ich in Nakuru stationiert bin. Du wirst ja schon gemerkt haben, daß Militärpost ohne Absender verschickt wird. Ich würde sie aber auch nicht gern in die gleiche Lage bringen wie damals bei Deiner Schwangerschaft.
Jedenfalls bin ich sicher, daß wir richtig entschieden haben. Eines Tages wirst Du mir recht geben. So wie Du ja inzwischen eingesehen hast, wie gut es war, daß wir nach Kenia und nicht nach Holland emigriert sind. Übrigens habe ich hier einen recht netten Kerl kennengelernt, der in Görlitz ein Radiogeschäft hatte. Natürlich kann der so einen Radioapparat ganz anders handhaben als ich und ist sehr gut informiert. Er hat mir erzählt, daß auch für die holländischen Juden keine Hoffnung mehr besteht. Aber erwähne das nicht bei Deinen Gastgebern. Soweit ich mich erinnere, hatte Bruno Gordon einen Bruder, der 1933 nach Amsterdam gegangen ist.
Ich hoffe, daß Du bald eine Unterkunft in Nairobi findest und vielleicht sogar eine Arbeit, die Dir zusagt und uns allen helfen würde. Wer weiß, ob wir nicht eines Tages etwas Geld für die Zeit nach dem Krieg zurücklegen können. (Da wird man nämlich keine Soldaten mehr brauchen und wir dagegen wieder eine neue Zukunft.) Wenn Du erst nicht mehr bei Gordons wohnen mußt und wieder so leben kannst, wie Du willst, wirst Du Dich bestimmt mit Nairobi anfreunden. Du hast Dir doch immer so sehr gewünscht, wieder unter Menschen zu sein. Ich genieße gerade dies trotz aller Schinderei sehr.
Die Engländer in unserer Unit sind alle ganz junge Kerle und eigentlich ganz nett. Sie begreifen zwar nicht, weshalb ein Mann mit der gleichen Hautfarbe wie sie nicht auch ihre Sprache kann, aber einige klopfen mir freundlich auf den Rücken. Wahrscheinlich weil ich in ihren Augen steinalt bin. Für mich ist es jedenfalls das erstemal seit dem Abschied von Leob-schütz, daß ich mir nicht vollkommen als Mensch zweiter Klasse vorkomme, obwohl ich den Sergeant im Verdacht habe, daß er nicht gerade ein Philosemit ist. Manchmal ist es eben auch ganz gut, wenn man die Landessprache nicht kann.
Kimani fehlt mir sehr. Ich weiß, es klingt albern, aber ich komme einfach nicht darüber hinweg, daß ich ihn bei unserem Abschied von der Farm nicht mehr gefunden habe und ihm nicht mehr sagen konnte, welch guter Freund er mir war. Sei froh, daß Du Owuor und Rummler bei Dir hast, auch wenn sich
Owuor mit den Boys von Gordons zankt. In Ol' Joro Orok kam er ja auch mit niemandem aus außer mit uns. Für uns ist er ein Stück Heimat. Vor allen Dingen wird es Regina so sehen, wenn sie zum erstenmal ihre Ferien in Nairobi verlebt. Du siehst, ich werde auf meine alten Tage sentimental. Aber das englische Militär hat in letzter Zeit solche Erfolge gehabt, daß es sich auch einen sentimentalen Soldaten leisten kann. Der hat sogar schon einige englische Flüche gelernt und wartet übrigens sehnsüchtig auf Deine Post. Schreib bald an Deinen alten Walter.«
Nur wenn Walter an Regina dachte, bekam sein neues Selbstbewußtsein die alten Risse. Dann quälte ihn die Angst, versagt zu haben, so unbarmherzig wie in den Tagen der größten Hoffnungslosigkeit. Er konnte sich seine Tochter, für die Ol' Joro Orok Heimat war, nicht in Nairobi vorstellen. Unerträglich war ihm das Wissen, daß er ihr die Wurzeln entrissen hatte und von ihr ein Opfer verlangte, für das sie nicht die Einsicht hatte.
Die Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit hatten ihm nicht so verletzend den Stolz gebrochen wie der Umstand, daß seine Einberufung zum Militär ihn vor seiner Tochter zum Feigling degradiert hatte. Er mußte ihr den Abschied von der Farm schriftlich mitteilen. Es war der erste Schmerz, den er Regina bewußt zufügte. In dem Brief, den er ihr in die Schule schrieb, hatte er versucht, ihr das Leben in Nairobi als eine Kette von heiteren, sorglosen Tagen voller Abwechslung und neuer Freunde auszumalen, doch er hatte dabei an nichts anderes denken können als an seinen Abschied aus Sohrau, Leob-schütz und Breslau und nicht die richtigen Worte gefunden. Regina hatte sofort geantwortet, aber die Farm, die sie nie wieder
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