Nirgendwo in Afrika
auch. Regina war zu alt für Träume, die sich vogelfreie Menschen nicht leisten durften. Ihre Unbelehrbarkeit machte Walter wütend, doch der Zorn gab ihm auch Kraft, und er erkannte, daß er sich zwingen mußte, ihr ins Gesicht zu schlagen, um sie zu retten. Es gelang ihm, sich im Bett aufzurichten und beide Arme nach hinten zu schieben. Dann schlug ihm die Wärme ihres Körpers entgegen, und Reginas Stimme war so dicht an seinem Ohr, daß er das Zittern der einzelnen Töne spürte.
»Endlich, Papa. Ich dachte, du wachst nicht mehr auf.«
Walter war so betäubt von der Wirklichkeit, die sich ihm nur sehr langsam enthüllte, daß er kein Wort zu sagen wagte. Er merkte auch nicht, daß Sergeant Pierce am Kopf des Bettes stand.
»Bist du gewundet worden?« fragte Regina.
»Mein Gott, ich hab' ja vergessen, daß du nicht mehr richtig Deutsch kannst.«
»Bist du?« bohrte Regina.
»Nein, dein Papa ist nur ein ganz blöder Soldat, der sich Schwarz Wasserfieber geholt hat.«
»Aber er ist Soldat«, beharrte Regina stolz.
»Cheers«, sagte Pierce.
»Three cheers for my daddy«, rief Regina laut. Sie hielt ihre Arme über den Kopf, und dann erlebte sie, wie dieser ulkige Soldat, der ein so seltsames Englisch sprach, daß sie sich sehr viel Mühe geben mußte, nicht zu lachen, seinen rechten Arm hochhob und mit ihr im Chor wunderbar laut »Hipp, Hipp, Hooray« jubelte.
Sehr viel später schlug Walter seiner Tochter vor: »Sag ihm, er soll doch mal herauskriegen, weshalb der Drachen von Krankenschwester mich nicht riechen kann.«
Sergeant Pierce hörte aufmerksam zu, während Regina aufgeregt berichtete, was sie erfahren hatte, und ließ danach Corporal Prudence Dickinson kommen. Erst stellte er einige höfliche Fragen, aber sehr plötzlich stellte er sich hin, stemmte seine Arme in die Hüften und nannte zu Reginas Verblüffung Schwester Prue »a nasty bitch«, worauf sie wortlos, ohne Hüftschwung und röter im Gesicht als ein Buschfeuer, das keinen Regen zu fürchten hat, den Saal verließ.
»Sag deinem Vater, die Frau ist ein dummer Esel«, erklärte Pierce, »es hat sie geärgert, daß er im Fieber Deutsch gesprochen hat. Aber ich denke, das solltest du ihm erst erzählen, wenn er wieder gesund ist.«
»Er möchte noch etwas wissen«, sagte Regina leise.
»Frag nur.«
»Er will wissen, ob er jetzt nicht mehr Soldat sein darf.«
»Warum denn?«
»Weil er gleich so krank geworden ist.«
Pierce spürte eine Bewegung in Kehle und Mund und mußte sich räuspern. Er lächelte, obwohl er die Gelegenheit dazu nicht als ganz passend empfand. Irgendwie gefiel ihm die Kleine. Obwohl sie weder Zöpfe, rotes Haar noch Sommersprossen hatte, erinnerte sie ihn an eine seiner Schwestern, aber er wußte nicht mehr an welche. Wahrscheinlich an alle fünf. Irgendwann. Es war wohl zu lange her, seitdem er die Mädels gesehen hatte. Jedenfalls hatte das Kind mit dem verdammt hochmütigen Oxford-Akzent der reichen Leute Mut. Das spürte er, und das gefiel ihm.
»Erklär deinem Vater«, sagte Pierce, »daß die Army ihn noch braucht.«
»Du kannst deine Stellung behalten, hat er gesagt«, flüsterte Regina. Sie küßte ihrem Vater schnell beide Augen, damit der Sergeant nicht merkte, daß er weinte.
14
Das Hove Court Hotel mit verkrusteten Palmen zu beiden Seiten des sorgsam geschmiedeten Eingangstors aus schwarzem Eisen, Zitronenbäumen mit harten grünen und leuchtend gelben Früchten, wuchernden Maulbeersträuchern, Riesenkakteen, hoch wachsenden Rosen im großen Garten und den im tiefen Violett blühenden Bougainvilleen vor flachen, weißen Häuschen, die um einen kurzgeschorenen Rasen angelegt waren, hatte fast das gleiche Alter wie die Stadt Nairobi selbst. Als die weitläufige Anlage 1905 von einem zukunftsgläubigen Architekten aus Sussex gebaut wurde, diente sie neu eingewanderten Regierungsbeamten so lange als erstes Quartier, bis sie ihre Familien in die Kolonie nachkommen ließen und in eigene Häuser zogen.
Das großzügig vornehme Flair, das in der wilden Gründerzeit der jungen Stadt für eine sehr englische Enklave gesorgt hatte, gab es nicht mehr, seitdem Mr. Malan der Hotelbesitzer war. Er sorgte, als er neue Schilder bestellte und dabei scharf kalkulierend auf das Wort Hotel verzichtete, ebenso rasch wie gründlich dafür, daß das Hove Court nicht mehr die richtige Adresse für Leute war, die standesgemäß zu leben verstanden. Der erfahrene Kaufmann aus Bombay erkannte mit geübtem Blick die
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