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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die drei Kinder, von denen nur eins das seine war, mehr als die monatliche Miete für zwei Zimmer im Hove Court aufzubringen.
    Ihre kostbaren und tief ausgeschnittenen Seidenkleider aus der kurzen Zeit ihrer zweiten Ehe mit einem Textilkaufmann aus Manchester, ihre drei Hausboys und eine betagte Aja, die unmittelbar nach Sonnenaufgang den Kinderwagen laut singend durch den Garten schob, sorgten für Gesprächsstoff. Beneidet wurde Mrs. Taylor um ihre Terrasse. Dort stillte sie bei Tag ihr Baby und empfing nach Einbruch der Dunkelheit ihre vielen, stimmkräftigen jungen Freunde in Uniform. Die sicherten ihr gesellschaftliches Prestige, seitdem ihr Mann zu ihrer Erleichterung nach Burma versetzt worden war.
    Ebenfalls nicht schlecht untergebracht, fast immer auf der begehrten Schattenseite des Gartens und oft mit winzigen Vorbauten vor den Fenstern, gerade groß genug für Blumentöpfe mit gut gedeihendem Schnittlauch, waren die Emigranten der ersten Stunde. Sie erregten im hohen Maß den Neid der nach ihnen eingetroffenen Flüchtlinge und behandelten sie ihrerseits mit jener gutmütigen Herablassung, die man in der alten Heimat als den rechten Umgangston für arme Verwandte empfunden hatte.
    Zu der vom Schicksal begnadeten Einwandererelite gehörten die alten Schlachters aus Stuttgart, die nicht zu überreden waren, ihr Rezept für Maultaschen und Spätzle zu verraten und wovon sie lebten, der unfreundliche Schreiner Keller mit Frau und vorlautem, halbwüchsigen Sohn aus Erfurt, der es zum Manager einer Holzfabrik gebracht hatte, und Leo Slapak mit  Frau, Schwiegermutter und drei Kindern aus Krakau. Slapak verdiente zwar gutes Geld mit seinem Secondhandshop, war aber nicht bereit, es ausgerechnet für besseres Wohnen auszugeben.
    Als langjährige Bewohnerin im Hove Court galt, zwar nicht zu Recht, aber durch ihren souveränen Umgang mit Mr. Malan rasch zu Ansehen gekommen, Elsa Conrad. Obwohl sie erst nach Kriegsausbruch zugezogen war, hatte sie zwei große Räume und eine fast so geräumige Terrasse wie Mrs. Taylor. Der achtzig Jahre alte Professor Siegfried Gottschalk gehörte tatsächlich zu Mr. Malans frühen Mietern. Trotzdem fanden ihn auch die Glücklosen in den kleinen Wohnverschlägen sympathisch; er pochte als einziger nicht auf den Status des weitsichtigen Früheinwanderers, der rechtzeitig die Zeichen drohenden Unheils erkannt hatte.
    Er hatte im Ersten Weltkrieg dem Kaiser die Beweglichkeit seines rechten Armes geopfert und danach, ebenso freudig, der Vaterstadt als Professor der Philosophie gedient. An einem Frühlingstag des Jahres 1933, der sich zuerst wegen seiner linden Lüfte und später durch den Sturm in seinem Herzen für immer in sein Gedächtnis grub, war er von johlenden Studenten der Frankfurter Universität auf die Straße getrieben worden. Sie hatten ihn bis zu seiner Schicksalsstunde als einen außergewöhnlichen Mentor mit überdeutlich ausgedrückter Liebe auf dem weichen Kissen der Illusionen gebettet.
    Im Gegensatz zum allgemeinen Brauch im Hove Court sprach Gottschalk selten vom Glanz seiner guten Tage. Jeden Morgen stand er um sieben Uhr auf und ging bis zum kleinen Hügel hinter den Hütten von den Hausboys, die er beharrlich Adlati nannte, trug zum Tropenhelm, den er sich zur Auswanderung gekauft hatte, den dunklen Anzug und die graue Krawatte, die ebenfalls noch aus seiner Heimatstadt stammten, und gestattete sich auch in der Mittagsglut keine leichte Kleidung  und nicht die landesübliche Ruhezeit.
    »Unser Professor«, wie ihn auch diejenigen im Hove Court nannten, die zu Hause keine Gelegenheit zum Einblick ins akademische Leben gehabt hatten und ihn also nur für skurril und zerstreut hielten, war der Vater von Lilly Hahn. Ihr wiederholtes Flehen, zu ihr und Oha auf die Farm in Gilgil zu ziehen, lehnte er stets mit der Begründung ab: »Ich brauche Menschen um mich und nicht Rindviecher.«
    Seit fast zehn Jahren fragte er sich und seine Bücher, weshalb ausgerechnet er Zeuge beim Wettlauf der Apokalyptischen Reiter sein und noch weiter leben mußte, doch er klagte nie. Dann kam ein Brief von seiner Tochter, der ihn, wenigstens einige Tage, zugleich belebte und aufregte. Lilly bat ihren Vater, Jettel bei der Familie Gordon aufzusuchen und ein gutes Wort bei Malan einzulegen, damit sie und ihre Tochter im Hove Court unterkamen.
    Obwohl ihn die Aufgabe vor das diffizilste Problem seit seiner Ankunft im Hafen von Kilindini stellte, war der alte Mann glücklich über die

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