Nirgendwo in Afrika
Aussicht, einen Bruchteil seiner Zeit in der Gesellschaft von anderen Menschen als Seneca, Descartes, Kant und Leibniz zu verbringen. Am Sonntag um acht Uhr morgens trat er beschwingt und mit einer kleinen Flasche Trinkwasser in der Jackentasche durch das eiserne Tor des Hove Court. Er traute sich nicht, den Bus zu benutzen, weil er dem Fahrer sein Ziel weder auf Englisch noch Suaheli nennen konnte, und ging die drei Kilometer zu Gordons zu Fuß.
Zu seiner großen Freude stammte das gastfreundliche Ehepaar aus Königsberg, wo er als Junge oft die Ferien bei einem Onkel verbracht hatte. Von Jettels blassem Teint, dunklen Augen, dem kindlichen Ausdruck und ihren schwarzen Locken, die ihn an das liebenswürdige Bild erinnerten, das in seinem Arbeitszimmer gehangen hatte, war er gerührt und genierte sich um so mehr seines Unvermögens, ihr zu helfen.
»Ich kann«, sagte er nach der dritten Tasse Kaffee, »Ihnen nur mit Geleit, doch nicht mit Fürsprache dienen. Englisch habe ich nicht mehr erlernt.«
»Ach, Herr Gottschalk. Lilly hat mir so viel Gutes von Ihnen erzählt. Wenn Sie nur mitkommen zu Malan, ist mir schon wohler. Ich kenne ihn ja gar nicht.«
»Ich höre, er ist kein Philanthrop.«
»Sie werden mir Glück bringen«, sagte Jettel.
»Das hat eine Frau schon lange nicht mehr zu mir gesagt«, lächelte Gottschalk, »und eine so schöne noch nie. Morgen zeige ich Ihnen erst einmal unser Hove Court, und vielleicht fällt uns dort ein, was wir tun können.«
»Das war«, schrieb er zwei Tage später an seine Tochter, »die beste Idee, die ich je in diesem verwunschenen Land hatte.« Allerdings brachten nicht er, sondern der Zufall und Elsa Conrad die Dinge in Bewegung. Gottschalk war gerade dabei, Jettel auf die zarten Hibiskusblüten aufmerksam zu machen, die, von gelben Schmetterlingen umschwirrt, an einer Mauer emporwuchsen, als Elsa Conrad den Rest vom Wasser in ihrer Gießkanne auf den Boxer von Mrs. Clavy schüttete und ihn einen »Mistköter« schimpfte. Jettel erkannte die temperamentvolle Weggenossin aus den ersten Kriegstagen sofort an dem langen, geblümten Morgenrock und dem roten Turban um den Kopf.
»Mein Gott, die Elsa aus dem Norfolk«, rief sie aufgeregt, »erinnerst du dich noch? Wir waren 1939 zusammen dort interniert!«
»Glaubst du«, fragte Elsa entrüstet, »daß man sein Leben in einer Bar zubringen kann, ohne sich Gesichter zu merken? Los, komm rein. Sie auch, Herr Gottschalk. Ich kann mich noch genau erinnern. Dein Mann war Rechtsanwalt. Und du hast ein niedliches, verschüchtertes Kind. Ihr wart doch auf einer Farm. Was machst du in Nairobi? Bist du etwa deinem Mann weggelaufen?«
»Nein. Mein Mann ist bei der Army«, sagte Jettel stolz. »Und ich«, fuhr sie fort, »weiß gar nicht, was ich machen soll. Ich habe keine Unterkunft, und Regina hat bald Ferien.«
»Den hilflosen Ton kenne ich doch noch. Bist du immer noch die feine Anwaltsgattin? Erwachsener bist du jedenfalls nicht geworden. Macht nichts. Elsa hat immer geholfen, wenn sie konnte. Besonders Kriegshelden. Du brauchst jemanden, der mit dir zu Malan geht. Nichts für ungut, Professorchen. Sie sind da nicht der richtige Mann. Gleich morgen gehen wir hin. Und fang bloß nicht an zu heulen. Das indische Ekel läßt sich nicht durch Tränen beeindrucken.«
Malan unterdrückte Grimm und Seufzer, als Elsa Conrad sein Büro erstürmte und Jettel als tapfere Soldatenfrau vorstellte, die umgehend und natürlich zu einem Mietpreis, den ihm noch nicht einmal sein Lieblingsbruder zugemutet hätte, eine Unterkunft brauche. Er wußte aus zu vielen leidvollen Erfahrungen, daß es sinnlos war, sich ihr zu widersetzen. So begnügte er sich mit Blicken, die bei jedem anderen sofort regulierend gewirkt hätten, und der wenigstens für ihn wohltuenden Vorstellung, daß diese laute Person mit der Kraft eines wild gewordenen Stiers immer mehr den Schlachtschiffen ähnelte, die seit der Landung in der Normandie selbst in den unverdrossen antienglisch eingestellten indischen Zeitungen abgebildet wurden.
Mrs. Conrad ließ sich nicht durch seine üblichen Tricks zum Schweigen bringen. Ihre Stimme war sehr viel durchdringender als seine, und die Weibsperson selbst neigte zu Argumenten, auf die er schon deshalb keine Antwort fand, weil die Tiraden mit Heftigkeiten angeheizt waren, die in einer ihm unbekannten Sprache herausgeschleudert wurden. Hinzu kam, daß Malan bedauerlicherweise Rücksicht auf seine umfangreiche Familie nehmen mußte und
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