Nix als Ärger mit dem Kerl!
einigen Minuten auf der Seele brannte, konnte Wilma seinem kleinen Gesichtchen ansehen, dass er schwer mit sich gerungen hatte, ehe er den Mut dazu fand.
"Hast du trotzdem einen Beruf gelernt?" Aufmerksam beobachtete er Wilmas Gesicht, um ihre Reaktion darauf abzulesen.
Ihre Antwort war ein herzliches Lachen.
"Also, wenn du meine Eltern fragst, werden sie das, was ich tue nicht als 'anständigen' Beruf bezeichnen." Sie unterbrach sich, als sie Rogers verständnislose Miene bemerkte. "Ich bin Schriftstellerin", fuhr sie in sachlicherem Ton fort. "Meine Eltern haben zwar immer behauptet, dass man mit Kunst kein Geld verdienen kann und sein Leben lang ein armer Schlucker bleibt, aber ich kann dir versichern, ich verdiene sehr gut."
"Und hast du studiert?" fragte Roger aufgeregt.
"Ja, Germanistik", erwiderte Wilma lächelnd. "Zugegeben, eine gute Schülerin war ich nicht. Hab mich gerade so durchs Abitur gewurschelt. Ich sage es dir ehrlich, ich war stinkfaul. Sicher hätte ich bessere Noten haben können, wenn ich mir nur ein bisschen Mühe gegeben hätte. Aber meine Eltern waren derartig auf gute Leistungen fixiert, dass ich innerlich dicht gemacht habe."
Roger stieß einen erleichterten Seufzer aus. Plötzlich wurde er richtig lebhaft.
"Genau wie bei mir!" rief er aufgeregt. "Mein Papa sagt auch immer, dass ich gute Noten haben Muss, damit ich später studieren und einen anständigen Beruf erlernen kann. Und er sagt auch immer, dass Malen und Gedichte und so'ne Sachen nichts wert sind, weil man damit kein Geld verdienen kann." Er rückte etwas näher an Wilma heran. "Dabei machen solche Sachen viel mehr Spaß." Er warf ihr einen neugierigen Blick zu. "Hast du auch gerne Aufsätze geschrieben?"
"Habe ich." Wilma nickte begeistert. "Du, ich habe die tollsten Geschichten erfunden. Wann immer ich mich davonstehlen konnte, bin ich auf den Dachboden gestiegen. Da hatte ich meine Schreibmappe versteckt, in der ich alle meine Geschichten und Gedichte aufbewahrte. Ich habe die Texte teilweise sogar mit den passenden Bildern verziert." Sie lächelte liebevoll. "Wenn es dein Papa erlaubt, kannst du mich ja mal besuchen kommen. Dann zeige ich dir die Mappe."
"Au, ja!" Roger klatschte vor Freude in die Hände, dann warf er Wilma einen zweiten, forschenden Blick zu. "Magst du auch mal meine Gedichte und Geschichten lesen?" erkundigte er sich zaghaft.
Wilma nickte erfreut.
"Du schreibst auch heimlich?" fragte sie aufgeregt. "Du, ich glaube, wir zwei sind uns verdammt ähnlich. Ach, find' ich das toll. Endlich jemand, der genauso denkt und handelt wie ich!"
"Ja!" Roger sprang auf. Ehe es sich Wilma versah, war er ihr um den Hals gefallen. Dann sah er sie mit feierlichem Ernst an. "Wollen wir Freunde sein?"
Ein Kloß bildete sich in Wilmas Hals. Gerührt strich sie dem Jungen übers Haar.
"Gerne", erwiderte sie genauso ernsthaft. "Ich würde mich sehr freuen, wenn ich einen guten Freund hätte, mit dem ich über alles reden kann und der mit mir über alles reden mag."
"Dann sind wir ab jetzt Freunde." Roger strahlte übers ganze Gesicht. Dann wurde er wieder ernst. "Aber du darfst Papa nicht weitererzählen, wenn ich dir was erzähle."
"Natürlich nicht!" Entrüstet schüttelte Wilma den Kopf. "Gute Freunde behalten ihre Geheimnisse für sich. Das ist doch klar."
Roger atmete auf. Aber als Wilma vorsichtig bemerkte, dass es jetzt Zeit sei, nach Hause zu gehen, verschloss sich seine Miene wieder.
"Am liebsten würde ich bei dir wohnen", maulte er mit vorgeschobener Unterlippe. "Frau Kleintrecht hat bestimmt wieder Karotten gekocht. Die mag ich überhaupt nicht. Und Papa wird nachher bestimmt gleich nach der Mathearbeit fragen. Mann, wird der wieder meckern, wegen der doofen Drei."
"Mach einfach die Ohren zu und lass es über dich ergehen", riet Wilma beruhigend. "Das habe ich auch immer gemacht, wenn meine Eltern stressig wurden. Glaube mir, eine Drei ist wirklich nicht schlecht. Sie ist gutes Mittelfeld, würde ich sagen."
"Kannst du das meinem Papa mal erzählen?" Rogers Blicke hefteten sich hoffnungsvoll auf Wilma, aber dann schüttelte er den Kopf. "Ach, der hört sowieso auf niemanden."
Wilma beschloss, dass es höchste Zeit war, zu gehen. Sicher machte sich die Haushälterin schon Sorgen wegen der Verspätung.
"Ich werde sehen, was sich machen lässt", erwiderte sie lächelnd. "Nun schmeiß nicht gleich die Flinte ins Korn und lass den Kopf hängen. Komm, wir wollen gehen. Ich fange allmählich unter diesem
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