Nixenblut
…«
»Hörst du wirklich nichts, Conor?« Ich habe Angst, als wären Mum und Conor weggegangen und hätten mich allein gelassen. Die Worte sind für mich bestimmt. Nur für mich. Conor kann nichts hören und Mum macht unverdrossen mit dem Abwasch weiter.
»Hör nicht hin, Saph!«, flüstert Conor. »Verschließ deine Ohren. Wenn du sie ignorierst, verschwinden sie.«
Er denkt, dass Faro mich ruft oder vielleicht Elvira, aber ich weiß, dass nicht sie es sind. Das ist das Lied, das Dad immer gesungen hat. Doch auch er ist es nicht, der jetzt singt. Selbst mein Dad mit seiner schönen Stimme könnte nicht so zart singen – eine Zartheit, die mich magisch anzieht. Ich stehe auf, durchquere die Küche und gehe durch die offene Tür. Lasse all das Vertraute hinter mir und betrete eine andere Welt…
Doch Conor folgt mir. »Wo willst du hin, Saph?«
»Ich muss los, Con. Sie wollen, dass ich komme. Sie wollen, dass ich jetzt komme.«
»Du meinst Faro und Elvira?«
»Nein, nicht sie.« Es kommt mir vor, als spräche ich im Traum. Ich höre kaum meine eigene Stimme. Die von Conor ist dünn und weit entfernt. »Es sind Mer-Stimmen, das ist alles, was ich weiß. Sie versuchen, mir etwas zu sagen … ich muss zu ihnen … sie wollen, dass ich …«
»Ich lasse dich nicht gehen«, sagt Conor. Er steht vor mir und breitet seine Arme aus. »Du bleibst hier. Ich will dich nicht auch noch verlieren.«
Doch ist es ein Leichtes für mich, an ihm vorbeizugehen. Ich spüre die Stärke des Meeres in mir. Ich könnte direkt durch Conor hindurchgehen, wie durch den Nebel, als bestünde er nicht aus Fleisch und Blut. Doch Conors durchdringender Blick hält mich zurück.
»Ich lasse dich nicht gehen«, wiederholt er. Seine Stimme hat an Festigkeit gewonnen.
»Tut mir Leid, Conor, aber du hast keine Wahl. Ich weiß, dass ich Dad finden kann.«
»Wie meinst du das?«
»Du hast Recht gehabt. Er ist in Indigo.«
»Aber verstehst du denn nicht, Saph? Es ist genau das, was sie uns glauben machen wollen. Sie wollen dir einreden, dass du dich auf Dads Spuren befindest. Darum dreht sich doch alles.« Conors Augen glühen. »Mir nehmen sie die Schwester weg und Mum verliert nach Dad auch noch ihre Tochter. Kannst du nicht auch ein bisschen an uns denken? Hast du überhaupt noch etwas anderes im Kopf als Indigo, Indigo, Indigo?«
»Ich will Dad finden, das ist alles.«
»Wozu soll das gut sein, wenn wir dich auch noch verlieren? Es ist gefährlich und du weißt es.«
»Wir haben es uns geschworen, Conor. Das ist unsere Chance, vielleicht die einzige, die wir haben.«
»Okay«, sagt Conor schließlich. »Du hast gewonnen. Ich kann dich nicht die ganze Zeit im Auge behalten. Und ich kann nicht gleichzeitig Indigo und dich besiegen. Aber du wirst nicht allein gehen. Ich komme mit dir.«
Elftes Kapitel
W ir gehen ein bisschen raus, Mum«, ruft Conor beiläufig durch die geöffnete Küchentür. Normalerweise würde Mum antworten: »Okay, passt auf euch auf. Bis später!« Doch heute kommt sie an die Tür, wischt ihre Hände an einem Handtuch ab und runzelt die Stirn.
»Aber Sapphy geht es nicht gut«, sagt sie. »Willst du nicht bei mir zu Hause bleiben, Saph?«
»Mir geht’s gut, Mum, wirklich!«, entgegne ich so unbefangen wie möglich. Mum sieht verblüfft und ein wenig enttäuscht aus.
»Komm her, mein Schatz, lass dich ansehen.«
Conor durchquert den Vorgarten. Ich weiß, dass er auf mich wartet. Mum legt mir ihre Hände auf die Schultern. Sie riecht nach ihrem Rosenparfüm, das sie nur an ganz besonderen Tagen trägt. Warum ist heute ein besonderer Tag? Vielleicht wird sie Roger treffen, denke ich. Ich schaue sie missmutig an und will mich von ihr entfernen.
»Was ist, Sapphire? Schau mich an«, sagt Mum, während sie mich zu sich heranzieht, als befürchte sie, ich wolle weglaufen.
Langsam hebe ich meinen Kopf. Mums Augen suchen mein Gesicht ab. Dieses eine Mal sehen wir uns wirklich in die Augen. Sonst laufen wir ständig umeinander herum. Mum hetzt zur Arbeit, Conor und ich eilen zur Schule oder
sonst wohin und ständig sind tausend Dinge zu erledigen. Mum sorgt sich um unsere Kleidung und die Hausaufgaben und das Geld und einfach alles. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie uns vor lauter Sorgen gar nicht mehr wahrnimmt.
Ich weiß, dass es nicht ihre Schuld ist. Schließlich versucht sie, ganz allein das zu erledigen, was sonst zwei Personen leisten. Sie muss das Geld verdienen, den Haushalt erledigen und sich um
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