Nixenblut
uns kümmern. Und obwohl wir ihr so viel helfen, wie wir können, ist sie ständig abgehetzt.
Wir essen nicht einmal besonders oft zusammen, weil Mum fast jeden Abend arbeitet, häufig auch tagsüber. Sie sagt uns, wo sie sich aufhält und wann sie zurück sein wird und um wie viel Uhr wir zu Hause sein sollen. Sie hinterlässt uns jede Menge Nachrichten und natürlich haben wir ihre Handynummer. Aber es ist nicht mehr dieselbe Familie, die wir früher waren, und manchmal scheint es mit einer Familie gar nichts zu tun zu haben.
Wir sind einfach nur drei Leute, die im selben Haus wohnen, denke ich. Wir sind keine richtige Familie mehr.
Ich schaue nach unten, damit Mum die Gedanken in meinen Augen nicht lesen kann. Das würde sie so verletzen. Sie denkt, ich werfe ihr vor, dass sie ständig arbeitet, und dass ich nicht verstehe, dass sie allein das Geld verdienen muss, nachdem Dad verschwunden ist.
Wenn ich ihr nur erklären könnte, wie seltsam die Tage sind, wenn sie zur Arbeit gefahren ist und erst gegen Mitternacht zurückkommt. Die Tage sind lang und haben keine Form. Mum ist weg, Dad ist weg, das Haus ist still. Manchmal gehe ich nachts runter in die Küche, wenn Conor schläft und ich keine Ruhe finde. Wenn Mum zu Hause wäre, würde
sie mit einem Glas Wasser zu mir kommen, sich an mein Bett setzen und sagen: Mach dir keine Sorgen, Sapphy. Entspann dich einfach, dann wirst du sicher bald einschlafen . Doch wenn Mum nicht da ist, kann ich nicht aufhören, mir Sorgen zu machen.
Ich lausche dem Brummen des Kühlschranks. Hin und wieder gibt er ein Klicken von sich und verstummt. Dann warte ich nur darauf, dass er wieder anfängt zu brummen. Wenn er es tut, bin ich glücklich und bilde mir ein, der Kühlschrank wäre mein Freund – ein so schwachsinniger Gedanke, dass ich niemals jemand davon erzählen könnte. Mum am allerwenigsten.
Viele Touristen geben ein Vermögen aus, um hier Urlaub zu machen. Sie erzählen uns manchmal, was für ein Glück wir haben, in diesem Paradies leben zu dürfen. Und dass dies der schönste Sommer seit Jahren ist – auch das bekommen wir ständig zu hören. Es ist trocken und warm. Die Sonne scheint tagaus, tagein und die Straßenränder sind braun von der Hitze. Mum sagt, St Pirans sei proppenvoll mit Touristen. Das Restaurant ist jeden Abend voll, deshalb kommt sie immer so spät nach Hause.
Könnte ich Mum nur erklären, wie leer die Tage sind. Welche Angst ich habe, wenn Conor ohne mich weggeht, auch wenn er nur für eine Stunde zu Jack will. Er fragt mich immer, ob das in Ordnung sei, und ich antworte stets: »Ja, klar, kein Problem. Ich werde fernsehen.« Mum denkt, dass ich mich mit Katie oder einer meiner anderen Freundinnen treffe, aber das tue ich nicht. Ich fühle mich wie abgeschnitten von ihnen, weil ihr Leben ganz normal weitergeht, während meines sich völlig verändert hat.
Solange Conor da ist, macht mir das nichts aus. Wenn er
bei Jack ist, weiß ich zumindest, dass er sich in der Nähe befindet. Ich könnte zu ihm radeln, wenn ich ihn brauchte. Doch als er ohne mich in Indigo war, bin ich fast gestorben vor Angst.
Ich werde nicht allein zurückbleiben und mich ängstigen. Diesmal werde ich gehen, bevor Conor geht. Ich werde weit fortgehen, wo ich niemanden von ihnen brauche.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Sapphy? Du würdest mir doch erzählen, wenn etwas nicht in Ordnung wäre, oder?«, fragt Mum. Sie streicht mein Haar glatt. »Deine Haare kleben ja aneinander wie Seetang. Wir müssen sie mal richtig durchbürsten«, sagt sie.
»Könnten wir nicht eine Hennakur machen, Mum?«
»Tut mir Leid, Saph, ich hab keine Zeit heute.«
Ich liebe es, wenn Mum mir eine Hennakur macht. Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Zuerst wäscht sie meine Haare und trocknet sie ein wenig, dann massiert sie das Hennawachs ein und wickelt anschließend ein warmes Handtuch um meinen Kopf. Damit die Anwendung ihre Wirkung entfalten kann, sitzen wir eine halbe Stunde zusammen und quatschen. Es ist keine Tönung, sondern macht das Haar nur wieder weich und glänzend, wenn ich jeden Tag im Meer geschwommen bin.
»Vielleicht sollten wir deine Haare schneiden. Kurze Haare sind leichter zu pflegen.«
»Nein, Mum!«
»Schon gut, aber wenn du lange Haare haben willst, dann musst du dich auch um sie kümmern. Manche Knoten kriegt man kaum noch raus. Und schau nur, wie lang sie geworden sind. Die reichen dir ja inzwischen bis über die Hüfte.«
»Ich lasse sie eben
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