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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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eine Rasse?«
    »Ein Golden Labrador.«
    »Sehr schöne Tiere.«
    »Ja, sie ist …« Plötzlich sehe ich Sadies Gesicht so lebendig vor mir, dass ich fast ihr warmes, goldenes Fell spüre, ihre weiche Zunge, die meine Hand abschleckt, ihre zitternde Aufregung, wenn sie merkt, dass ich mit ihr spazieren gehen will.
    »Hattest du schon mal einen eigenen Hund?«
    »Nein. Mum sagt, das macht zu viel Arbeit.«
    »Tja, es stimmt schon, dass ein Hund einige Arbeit macht. Als Junge hatte ich einen, und erst später verstand ich, was mein Vater meinte, als er mir sagte: ›Wenn du einen Hund haben willst, dann musst du dich um ihn kümmern, solange er lebt.‹ Doch Rufie war das Beste, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist, nachdem wir aus Australien zurückkamen
und es uns nach Dagenham verschlagen hat. Conor und du könntet euch doch beide um sie kümmern, oder?«
    »Nicht wenn wir in der Schule sind.«
    »Gibt es denn niemanden in der Nachbarschaft, der in dieser Zeit ein Auge auf sie haben könnte?«
    Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Immer wieder habe ich krampfhaft versucht, Mum davon zu überzeugen, dass Conor und ich es irgendwie hinkriegen würden.
    »Hm, ich weiß nicht …«
    »Denk mal drüber nach«, sagt Roger. »Dann wäre sicher auch eure Mutter aufgeschlossener.«
    »Was war Rufie für ein Hund?«
    »Ein Black Labrador. Eine tolle Rasse. Leider kriegen sie im Alter Probleme mit den Hüften.«
    Ich nicke. Ich kenne mich aus mit Labradoren und weiß auch, dass sie nicht so alt werden wie einige andere Hunderassen.
    »Sie haben einen großartigen Charakter und sind sehr anhänglich«, fügt Roger nachdenklich hinzu, ehe er mir die Tür öffnet, damit ich den Tee hinaustragen kann.

    Es ist spät geworden. Ich liege noch wach, während alle anderen schlafen. Roger ist nach St Pirans zurückgefahren, und Mum hat sich früh hingelegt, weil sie morgen die Frühschicht hat. Von Conors Dachboden dringt kein Geräusch zu mir nach unten. Ich habe schon vor langer Zeit gehört, dass er das Licht ausgeknipst hat.
    Ich habe das Gefühl, der letzte Mensch auf der Welt zu sein, der noch wach ist. Hätte ich ein eigenes Haus, würde mein Hund bei mir im Zimmer schlafen. Hunde wachen sofort auf, wenn man sich bewegt. Wäre Sadie hier, würde
sie merken, dass ich wach bin, und ich könnte mit ihr reden.
    Über Roger will ich nicht mehr nachdenken. Stundenlang haben sich dieselben Gedanken in meinem Kopf gedreht. Mum, Roger, Dad. Manchmal möchte ich kein Kind mehr sein. Als Erwachsene könnte ich meine eigenen Entscheidungen treffen und meine Familie müsste sich damit abfinden.
    Stattdessen denke ich an Indigo. An die Sprache der Delfine und das sonnendurchflutete Wasser. An Riesenhaie und Graurobben, Seeanemonen, Garnelen und Kaurischnecken, an Quallenschwärme, Schiffswracks, Felsenriffe und die großen Strömungen, die dich um die halbe Welt tragen. Indigo. Indigo . Hat man die Haut erst mal durchdrungen, spürt man keinen Schmerz mehr. Unter Wasser empfängt dich eine neue Welt. Blauwale, Glattwale und Zwergwale. Herden von Tümmlern, die in einer perfekten Formation aus dem Wasser springen, als wüsste jeder genau, was die anderen gerade vorhaben. Vielleicht ist es wirklich so.
    Riementang, Blasentang und Zuckertang — all die Namen, die Dad mir beigebracht hat, und all die Tiere, die wir gesehen haben: Segelquallen, Strandkrabben, Einsiedlerkrebse, Barsche, Lippfische, Katzenhaie und Bärenkrebse … Strömungen und Gezeiten. Ach wäre ich doch in Indigo. Ach wäre ich doch in Indigo …
    Während ich diese Worte wiederhole, schlafe ich ein.

    Aus tiefen Träumen schrecke ich plötzlich hoch. Etwas hat mich geweckt. Ich schlage die Decke beiseite und setze mich auf. Stille. Doch ich bin sicher, etwas gehört zu haben. Beklommen steige ich aus dem Bett, gehe ans Fenster und
ziehe den Vorhang zur Seite. Der Mond steht voll und hoch am Himmel.
    »Ssssssapphire.«
    Ich öffne das Fenster, um besser hören zu können. Die Stimme ist so sanft wie ein Hauch, der aus weiter Entfernung an mein Ohr dringt. Sobald ich sie wieder höre, weiß ich, dass sie es war, die mich geweckt hat. Es ist weder Conors noch Mums Stimme. Sie ist unheimlich und rätselhaft. Meine Haut prickelt, ich zittere am ganzen Körper. Das ist keine menschliche Stimme. So würde das Meer klingen, könnte es sprechen.
    Wie sehr wünschte ich mir, fließend Mer sprechen zu können. Doch hat das Meer wirklich eine eigene Stimme? Kann es seine

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