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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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durchschneidet wie ein Rasiermesser ein seidenes Tuch. Obwohl Rasiermesser das falsche Wort ist. Indigo heißt dich willkommen, doch ein Seidentuch würde ein Rasiermesser niemals willkommen heißen. Manchmal habe ich das merkwürdige Gefühl, dass Indigo sich genauso nach mir sehnt, wie ich mich nach Indigo sehne. Als würden wir nur gemeinsam ein Ganzes ergeben. Ich muss mit Faro darüber reden …
    Dann bleiben meine Augen an der Schlagzeile der Zeitung hängen, die irgendjemand auf dem Tisch ausgebreitet hat.
    »Neuer Aktionsplan gegen weitere Flutkatastrophen in St. Pirans«, lese ich. Als wären die Menschen in der Lage, die Gezeiten in Schach zu halten. Ich ziehe die Zeitung zu mir heran, um mehr zu lesen. Dann wird mir klar, dass es sich um den Cornishman handelt. Der Cornishman erscheint jeden Donnerstag, doch heute ist Mittwoch. Das muss die Ausgabe von letzter Woche sein.
    Ich werfe einen Blick auf das Datum. Das ist unmöglich. Ich zwinkere, doch die Zahlen bleiben dieselben. Ich habe eine Zeitung vor mir, die erst morgen erscheint.
    Wie lange war ich fort? Ich muss mit Conor sprechen. Aber die Flut hat ihm sein Handy genommen, und im Moment hat er kein Geld, um sich ein neues zu kaufen. Ich muss unbedingt mit ihm reden, bevor ich mit Mum rede – dann weiß ich, was passiert ist. Falls ich tatsächlich für anderthalb Tage verschwunden war, wird Mum in der Zwischenzeit die Polizei und die Küstenwache alarmiert und Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben. Aber bis jetzt gibt es dafür keine Anzeichen. Das Haus ist unverändert. Ich weiß noch, wie es aussah, nachdem Dad verschwunden war. Da haben sich hier ständig Nachbarn und Männer in Uniform aufgehalten, und in einer Tour hat das Telefon geklingelt.
    Es liegt nicht einmal eine Nachricht für mich auf dem Tisch. Und Mum hätte mir natürlich eine Nachricht hinterlassen. Sie hätte nicht einfach gedacht: Tja, Sapphy ist zwar seit sechsunddreißig Stunden verschwunden, aber es wird schon nichts passiert sein. Jetzt brauchen Roger und ich erst mal ein bisschen Zeit für uns.
    Ich weiß genau, dass Conor bei Rainbow und Patrick ist. Vielleicht wissen sie etwas. Irgendwo haben wir ihre Nummern notiert. Die Festnetzleitung wird nach der Flutkatastrophe wohl kaum schon wieder funktionieren. Aber die Handys …
    Ich finde Rainbows Nummer in der Anrufliste unseres Telefons, und Gott sei Dank höre ich nach dem Wählen sofort ein Freizeichen. Nach sechs Signalen hebt jemand ab.
    »Hallo?«, sage ich.
    »Hier ist Rainbow.«
    »Rainbow? Hier ist Sapphy. Ist Conor immer noch bei euch?«
    »Oh, hallo, Sapphy.« Ihre Stimme klingt entspannt, freundlich, sorglos. »Was ist, kommst du noch zu uns rüber?«
    »Äh, nein, im Moment … ich wollte nur kurz mit Conor reden.«
    »Warte mal …«
    Im Hintergrund höre ich Conors Stimme. »Oh, danke … Ich gehe mal eben in die Küche, ja?«
    Ich höre Schritte, dann eine Tür, die geschlossen wird. Er ist in die kleine Teeküche bei Patrick und Rainbow gegangen. Ich halte die Verbindung und warte ab. Conor sagt nichts, doch ich weiß, dass er da ist, weil ich ihn atmen höre.
    »Ich bin’s«, sage ich schließlich. »Alles okay bei dir?«
    »Ob alles okay ist bei mir?«, zischt Conor wütend. »Sag mal, hast du sie noch alle? Du bist seit gestern verschwunden!«
    »Mir geht’s gut, Conor. Ich war in …«
    »Ich weiß, wo du warst.«
    »Hat Mum irgendwas mitgekriegt?«
    »Die ist jetzt bei der Arbeit. Sie denkt, dass du auch hier bist. Ich habe sie gestern angerufen und gesagt, dass du uns beim Aufräumen und Saubermachen geholfen hast. Und dass wir beide hier übernachtet haben, weil es so spät geworden ist. Das war das absolut letzte Mal, Sapphy, dass ich für dich gelogen habe. Nächstes Mal kannst du dir selbst eine Lüge ausdenken.«
    »Conor, ich …«
    »Ich will nichts mehr hören. Rainbow und Patrick wissen nichts von der ganzen Sache. Wenn sie Mum zufällig treffen und die sie darauf anspricht, werden sie uns beide für Lügner halten. Warum denkst du nie nach, bevor du etwas tust? Warum springst du einfach ins Wasser und lässt alles zurück?«
    Ich weiß jetzt keine Antwort darauf. Ich betrachte den Talisman, der auf dem Tisch liegt.
    »Elvira hat mir etwas für dich mitgegeben«, sage ich leise. Ich höre, wie er nach Luft schnappt.
    »Was ist es?«
    »Ich kann es nicht richtig beschreiben. Ich muss dich sehen, Con.«
    Plötzlich höre ich wildes Bellen im Hintergrund. Eine Tür wird aufgerissen.

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