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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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gebrauchen können.
    Bis zum heutigen Tag hatte ich noch nie etwas von ihm gehört, doch tief in meinem Innern löst er ein vertrautes Gefühl der Angst aus. Als hätte mir jemand vor langer Zeit, in einem anderen Leben, von ihm erzählt – so wie manche Mütter ihren Kindern Geschichten von Riesen, Hexen und Ungeheuern erzählen.
    Mit dem Unterschied, dass der Krake nicht irgendeiner Gruselgeschichte entspringt. Die Angst der Mer ist sehr real. Der Krake ist erwacht …
    Ich strecke meine Hand aus und nehme den Talisman entgegen.

Fünftes Kapitel

    E s ist ein grauer Abend und schon fast dunkel, als ich Indigo wieder verlasse. Frierend stolpere ich über die Felsen. Faro ist verschwunden, und die düstere raue See verbirgt alles unter ihrer Oberfläche.
    Warum habe ich nicht ein paar trockene Kleider zwischen den Steinen deponiert? Weil du nicht wusstest, dass du nach Indigo gehen würdest, du Idiotin! Zitternd und bibbernd klettere ich über den grasbewachsenen Felsvorsprung und betrete den Pfad, der zu unserem Haus hinaufführt. Die dornigen Brombeerzweige des vergangenen Jahres stechen in meine Hände. Was erwartet mich zu Hause? Ich war stundenlang unterwegs. Ich saß in der Sonne, als Morlader uns abholte, und jetzt ist es Abend.
    Ich erreiche das Eingangstor, drücke mich an der Eberesche vorbei und öffne die Haustür. Wir machen uns nie die Mühe, sie abzuschließen, wenn wir weggehen.
    Ich hoffe, es hat niemand gesehen, wie ich mit tropfenden Klamotten hierher gelaufen bin.
    »Conor? Mum? Roger?«, rufe ich. Doch ich weiß, dass sie nicht da sind. Man spürt immer sofort, wenn das Haus leer ist, weil es dann eine ganz andere Atmosphäre hat. Meine Stimme erzeugt ein Echo, als wäre das Haus eine Muschel. Ich laufe hinauf ins Badezimmer, ziehe rasch meine Sachen aus, nehme mir ein Handtuch und rubbele mich von Kopf bis Fuß ab, bis meine Haut prickelt. Dann muss ich mir welche von den gebrauchten Klamotten anziehen, die ich nicht ausstehen kann. Und rasch das Salz aus den nassen Kleidern spülen, ehe diese einlaufen.
    Mum darf davon nichts erfahren. Ich ziehe eine abgetragene Jeans an, die mir ein wenig zu groß ist, und ein grünes Oberteil, das von den Secondhandteilen noch mit das Beste ist. Mit dem nassen Kleiderbündel in der Hand stapfe ich wieder die Treppe hinunter, stopfe es rasch in die Waschmaschine und drücke auf Spülen und Schleudern.
    Conor und Sadie sind wahrscheinlich immer noch bei Rainbow und Patrick. Mum und Roger sind schon seit Stunden in Porthnance, vermutlich kaufen sie die ganze Stadt leer. Oder sie genießen die »Zeit für sich«. Das sagt Roger jedenfalls manchmal: Deine Mum und ich brauchen ein bisschen Zeit für uns. Ich finde das extrem irritierend, wenn man bedenkt, dass Conor und ich sowieso den Großteil des Tages nicht zu Hause sind. Wie viel Zeit für sich brauchen sie denn noch?
    Ich mache mir einen Becher Tee und ein Bananensandwich und stelle beides auf den Tisch. Mein Körper ist taub vor Müdigkeit. Es ist nicht das Schwimmen, das mich so ausgelaugt hat. Ich kann viele Kilometer in Indigo zurücklegen, ohne müde zu werden. Aber der Tunnel, meine Angst, die Anspannung während der Versammlung und die Auseinandersetzung mit Ervys haben mich doch ziemlich mitgenommen. Zumindest blieb es Faro und mir erspart, ein zweites Mal den Tunnel durchqueren zu müssen. Wir haben denselben Rückweg genommen wie die meisten Mer. Er nimmt zwar mehr Zeit in Anspruch, ist aber sehr viel angenehmer. Eine zweite Konfrontation mit dem Tunnel hätte ich nicht durchgestanden. Es ist leichter, gewisse Dinge das erste Mal zu tun, solange man noch nicht weiß, wie schwierig sie sind.
    Oh, nein! Conors Korallenfigur ist immer noch in der Reißverschlusstasche meiner Hose. Ich unterbreche den Waschgang der Maschine und ziehe meine Sachen heraus. Auf dem Fußboden bildet sich eine Wasserlache, aber das ist mir jetzt egal. Ich öffne den Reißverschluss und habe im nächsten Moment den Talisman in der Hand. Vorsichtig lege ich ihn auf den Tisch. Dann stopfe ich die Kleider in die Maschine zurück, schalte sie wieder ein und wische den Boden auf.
    Ich setze mich hin. Im elektrischen Licht sieht die kleine geschnitzte Figur hübscher aus als je zuvor. Verträumt betrachte ich sie, bewundere die geschwungene Schwanzflosse, die fließende Bewegung der Haare und die elegante Linie des Körpers. Ich weiß genau, wie sie sich fühlt, wenn sie in Indigo eintaucht und die Wasseroberfläche

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