Nixenfluch
einen Auftrag erteilt.
Faros Kampfgeist flößt auch mir neuen Mut ein. Er hat recht. Wir dürfen nicht vergessen, warum wir hier sind. Wegen der weißen Steine und des roten Steins. Wegen der kleinen Mer-Kinder, die noch nie etwas von dem Kraken gehört haben. Wir sind hier, damit das auch so bleibt.
Ihr müsst nur dem Licht entgegenschwimmen.
Der Krake verspottet uns, aber natürlich dürfen wir uns nicht von dem Licht ins Bockshorn jagen lassen.
Faro hat Haltung angenommen und ist bereit, in Aktion zu treten. Ich wünschte, ich könnte so gelassen und entschlossen aussehen wie Conor. Die Lichter greifen nach mir und ich zucke zurück.
Dem Licht entgegen. Dem Licht entgegen.
Die Entscheidung fällt ohne Worte. Wir setzen uns in Bewegung. Würden wir noch länger nachdenken, kämen wir niemals vom Fleck. Langsam schieben wir uns nach vorn, bis uns der erste Lichtfinger berührt.
Es tut nicht weh. Alles in Ordnung. Wir brauchen nicht solche Angst zu haben.
Plötzlich kann ich mich nicht mehr daran erinnern, weshalb wir hier sind. Was soll das für einen Sinn haben? Mein Geist und mein Herz sind so schwer wie meine Glieder. Die Dunkelheit dringt in meinen Kopf. Conor … Faro … Sie sind jetzt Tausende von Kilometern entfernt, hinter einer Mauer aus schwarzem, gefrorenem Glas. Ich sehe und höre sie, doch ich fühle nichts. Was mache ich hier? Warum haben wir überhaupt gedacht, dass wir den Kraken aufhalten müssen? Niemand kann den Kraken aufhalten. Der Krake ist real, alles andere ist Einbildung. Selbst Saldowr … Saldowr …
Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Faro versucht, mich zu erreichen. Das kommt vom Licht, Sapphire. Du musst dagegen ankämpfen.
Langsam wird mir die Bedeutung seiner Worte bewusst. Es ist das Licht, das mein Bewusstsein trübt und alle Gedanken tötet, die ihm nicht passen. Doch vielleicht kennt das Licht ja die Wahrheit. Dass ich auf den Delfinen geritten und mit Faro auf dem Felsen gesessen habe, war vielleicht nur ein Traum. Ein Traum, an den man sich klammert, weil man Angst vor der Wahrheit hat.
Finger aus Licht streichen über meine Haut. Sie tasten, drücken …
Faro hat recht. Ich muss gegen sie ankämpfen. Wie gegen die Tentakel eines Tintenfischs. Muss sie von mir losreißen.
Langsam, mit größter Anstrengung, sammle ich meine Kräfte. Ich werde es nicht zulassen, dass die Lichter meine Gedanken töten. Ich will an den Wal denken. Ihren riesigen, rauen Körper. Ihre Güte. Daran, wie sie mich einst in der Tiefe gefunden und gerettet hat. Sie hätte das nicht tun müssen. Sie tat es nur, weil ihr Herz doppelt so groß wie ihr Körper ist.
Nein , höhnt das Licht. Sie ist alt und dumm und mag dich nur, weil sie dich in ihrer Blödheit mit ihren eigenen Gören verwechselt.
Ich denke an Saldowr. An seine Weisheit und sein Vertrauen in uns.
Vertrauen? Der ist nur verzweifelt, das ist alles. Ihr seid keine Mer. Deshalb macht es ihm auch nichts aus, euer Leben zu riskieren, solange eine minimale Chance besteht, dass sein kostbares Indigo gerettet wird.
Die Delfine. Unser berauschender Ritt durch das sprudelnde Wasser. Delfinsprache, Delfinintelligenz und Delfintreue.
Diesmal zögert das Licht für ein paar Sekunden, ehe es zurückschießt. Die Menschen sind ja verrückt nach Delfinen. Das hält sie aber nicht davon ab, sie zu töten, oder? Wie viele Delfine wurden letztes Jahr bei euch an Land geschwemmt? Wie viele erstickten in Netzen, mit denen man Thunfische fing? Wie sehr euch die Delfine hassen müssen!
Meine Gedanken stocken. Mir fällt nichts mehr ein, was ich dem Licht entgegensetzen könnte. Doch in diesem Moment dreht mich Faro zu sich herum, damit ich ihn ansehe. Sein Gesicht ist von Schmerz verzerrt. Das Licht muss tief in sein Bewusstsein eingedrungen sein.
»Wir müssen … uns helfen, Sapphire. Unsere Gedanken … zusammenschließen. Denk ans Riff.«
Meine Gedanken verbinden sich mit seinen. Wir schwimmen im hellen Sonnenlicht, nur knapp unter der Oberfläche, und betrachten die Schönheit eines Riffs auf offener See. Tang wogt sanft hin und her. Ein Schwarm gestreifter Babyfische wird auseinandergerissen, worauf sich die Fische in Spalten und Hohlräume flüchten. Ein Lippfisch schwimmt an leuchtenden Korallen vorbei. Seesterne strecken ihre Arme aus, öffnen sich dem Geschmack des Salzwassers. Am Felsen haften Juwelen-Anemonen. Und auf allem tanzen grüne und türkisfarbene Lichtreflexe. In der Ferne jagt eine Lederschildkröte hinter ein
Weitere Kostenlose Bücher