Nixenfluch
die Leute sagen sowieso schon, dass es mit Saldowr zu Ende geht.«
Ich warte auf einen Ausbruch von Faro, doch nichts passiert. Conor hat ihm eine beruhigende Hand auf die Schulter gelegt, aber das wäre gar nicht nötig. Faro hat begriffen, was ich vorhabe. Seine Augen glühen vor Aufregung.
»Zu Ende geht!«, kreischt die Garnele mit einer Mischung aus Freude und Verachtung. »Zu Ende geht zu Ende geht zu Ende geht. Ich wusste, dass es geschieht. Saldowr glaubt, dass er so groß ist, doch wurde er mit dem Gezeitenknoten fertig? Wurde er wurde er wurde er?«
»Nein«, antworte ich und versuche, möglichst kleinlaut zu klingen. »Wir dachten, dass er zu allem in der Lage wäre, aber wir haben uns geirrt. Und ich glaube, er hat sich auch in dir geirrt. Er wollte nur nicht dein Freund sein, weil du mächtiger bist als er. Aber wir möchten deine Freunde sein.«
»Ihr wollt meine Freunde sein? Wirklich wirklich wirklich wirklich? Oder sagt dein kleines Plipper-Plapper-Mäulchen das nur, damit ihr heil von hier davonkommt? Worte Worte Worte Worte Worte. Vielleicht wollt ihr den armen kleinen Kraken ja nur reinlegen.«
Die Garnele läuft im Zickzack hin und her, bis mir schwindelig ist. »Vielleicht vielleicht vielleicht vielleicht«, brabbelt sie, nur wenige Zentimeter von meiner Nase entfernt. Ich runzele die Brauen und schlage mir dann mit der Hand gegen die Stirn, als sei mir plötzlich etwas eingefallen. Die Garnele schießt davon, immer noch sirrend wie ein Moskito.
»Hör zu, wir können beweisen, dass wir als Freunde gekommen sind. Freunde geben sich doch Geschenke, nicht wahr?«
»Geschenke!«, schreit die Garnele.
Und bevor sie dieses Wort ewig wiederholt, fahre ich rasch fort: »Ja, ein Geschenk. Wir haben etwas aus Saldowrs Schatzkammer mit in die Tiefe gebracht. Er weiß nicht, dass wir es einfach genommen haben – nun, wahrscheinlich wird er es gar nicht merken. Wir haben es nicht gestohlen oder so. Aber egal, er kann sowieso nichts mehr dran ändern.« Ich ringe mir ein schmeichlerisches Lächeln ab. »Und weil es so viele Missverständnisse zwischen uns gegeben hat, möchte ich, dass du es bekommst. Als Geschenk.«
»Aus seiner Schatzkammer!« Die Garnele kann ihren Triumph kaum verbergen. »Das hättest du nicht tun sollen, mein liebes Mädchen. Tun sollen tun sollen tun sollen.« Die Garnele stößt ein helles Kichern aus. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, die furchtbare Freude des Kraken oder seine abgrundtiefe Bosheit.
»Conor hat ihn an seinem Bein festgebunden, damit Saldowr nichts sieht. Schau, hier ist er. Wir haben ihn den ganzen Weg bis in die Tiefe mitgenommen.«
Mit all meiner Kraft hebe ich den Spiegel und halte dem Kraken die Rückseite entgegen. Diesmal glänzt er nicht. Trotzdem schießt die Garnele sofort durch das Wasser, entfernt sich vom Licht und verschwindet in der Tiefe.
»Es ist ein Spiegel«, sage ich mit sanfter, lockender Stimme. »Saldowrs Spiegel. Einen solchen Spiegel gibt es kein zweites Mal in der Welt. Niemand darf in ihn hineinsehen. Typisch Saldowr. Die besten Dinge will er immer für sich selber haben.«
Stille. Keine Reaktion. Der Krake hat mich durchschaut. Er weiß, dass dies ein Trick ist.
Ich bekämpfe einen Anflug von Verzweiflung. Der Wal ist verschwunden. Conors Kraft hat nicht ausgereicht, der Krake ändert ständig seine Gestalt und lacht uns aus, ehe er irgendwann seine Rache ins Werk setzen wird. Nichts hat geklappt. Was sollen wir jetzt noch tun?
Nein, ich will mich vom Licht nicht zu solchen Gedanken verführen lassen. Wir müssen kämpfen. Wir haben nichts mehr zu verlieren.
»Halt den Spiegel hoch, Saph, damit er ihn sehen kann«, murmelt Conor.
Erneut hebe ich den schweren Spiegel. In der Strömung des Wassers ist es noch schwieriger, ihn zu halten. Mein Handgelenk schmerzt, während ich ihn langsam hin und her bewege. Ich versuche, den Kraken zu locken, halte die Spiegelfläche aber nach unten, damit er sie nicht sehen kann.
»Saldowrs Spiegel«, sage ich versonnen, als spräche ich zu mir selbst. »Er wird so wütend sein, wenn er merkt, dass wir ihn gestohlen und in die Tiefe gebracht haben. Er hält ihn immer in seiner Schatzkammer versteckt, weil jeder, der hineinschaut, von der Macht des Spiegels erfüllt wird – ohne diese Macht hätten wir natürlich niemals in die Tiefe kommen können. Dieser Spiegel zeigt dir nicht, wie du heute bist – sondern, wie du einmal sein könntest.«
»Das hättest du nicht sagen sollen!«,
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