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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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raunt Conor.
    »Ist okay, Con, hat keiner gehört.«
    Die Stille hat sich verändert. Jetzt ist es eine wartende, lockende Stille. Der Krake ist gierig, aber durchtrieben. Vielleicht ahnt er, dass auch wir durchtrieben sein können.
    Schließlich tastet sich eine Antenne der Garnele langsam und vorsichtig aus dem Dunkel heraus. »Ich komme, ob ihr wollt oder nicht«, kichert der Krake.
    Und da ist er. Er sieht immer noch wie eine Garnele aus. Ich frage mich, warum er die Gestalt nicht mehr wechselt. Vielleicht hat es mit dem Spiegel zu tun – oder dem Kraken gefällt es, als Garnele durch die Gegend zu laufen.
    »Aber ich weiß nicht, was passiert, wenn jemand in den Spiegel schaut, der so mächtig ist wie der Krake«, sage ich. »Er ist doch schon so stark. Vielleicht sollte man das lieber nicht riskieren.«
    »Gib ihn mir.« Die Stimme klingt plötzlich gierig, hat ihre Zurückhaltung aufgegeben.
    »Du bist zu leicht«, entgegne ich. »Der Spiegel würde dich zerquetschen. Ich könnte ihn für dich halten, wenn du willst.«
    »Wenn ich will. Wenn ich will. Oh nein nein nein nein nein nein nein. Ich will absolut nicht. Ich tue nicht, was andere mir sagen. Dann frage ich mich nämlich, warum sie das tun. Warum warum warum warum warum? Du schaust zuerst in den Spiegel, myrgh kerenza , dann sehen wir, was passiert. Und ich schaue dir über die Schulter, sicherheitshalber, bevor ich selbst einen Blick riskiere.«
    Ich schaue den Kraken erschrocken an. Ich soll hier in den Spiegel schauen, in der Tiefe, ohne Saldowrs Schutz? Und der Krake blickt mir über die Schulter? Das kann und will ich nicht tun. Saldowr sagt, der Blick sei nur für eine einzige Person bestimmt, und niemand sonst kann an ihm teilhaben. Und was ist, wenn der Spiegel wieder einen Lichtblitz ausstößt und mich blendet, vielleicht mein Augenlicht zerstört?
    »Ich mach das«, sagt Faro beiläufig, »wenn dich das beruhigt.«
    »Du! Du … du Mer-Junge . Warum sollte mich irgendwas interessieren, das du im Spiegel siehst?«, fragt die Garnele hochmütig.
    »Ja, das verstehe ich. Es wird bestimmt nicht sehr interessant sein«, sagt Faro, dessen Stimme immer noch so leicht und unbeschwert ist, als würde er mich an einem Sommertag im sonnigen Wasser necken. »Auf den Anblick werde ich sicher nicht stolz sein. Das hätte ich auch nicht verdient. Ich bin ja nur ein ganz gewöhnlicher Mer-Junge, der in seinem Leben noch nichts Besonderes zustande gekriegt hat. Aber dann weißt du jedenfalls, wie der Spiegel funktioniert.«
    Der Krake ist immer noch misstrauisch. »Dieses ganze Gerede über Spiegel«, grummelt er. »Ich hätte euch schon vor Stunden töten sollen. Ihr raubt mir nur meine Zeit, und das gefällt mir nicht. Oh nein nein nein nein nein.«
    »Ach, wenn ich doch nur zusehen dürfte, wie der Krake in den Spiegel schaut«, sage ich zu Conor. »Stell dir vor, was eines Tages aus ihm werden könnte!« Der Krake beißt an.
    »Zuerst der Mer-Junge. Zuerst der Mer-Junge. Er darf ruhig in den Spiegel schauen, damit er weiß, was ihn erwartet. Erst schaut er und dann stirbt er.«
    Oh, Faro. Ich habe das Gefühl, dass mein Herz vor Kummer zusammengedrückt wird. Wir sind in der Tiefe und es gibt keine Rettung. Warum sind wir hierher gekommen? Warum haben wir je geglaubt, etwas gegen den Kraken ausrichten zu können?
    Faro schwimmt mit solcher Leichtigkeit zum Spiegel, als warte er nur auf eine passende Strömung, um sich an ein fernes Ziel tragen zu lassen. Er presst die Lippen aufeinander. Nichts sonst verrät seine Anspannung, und ich glaube auch nicht, dass der Krake dies bemerkt. Er kennt Faro nicht, weiß nicht, wie mutig er ist und dass er sein Leben riskiert hat, um hierher zu kommen …
    »Faro!« Ich wollte das eigentlich nicht laut sagen. Das Wort kam mir unwillkürlich über die Lippen. Sein Stirnrunzeln bringt mich zum Schweigen.
    »Halte den Spiegel, kleine Schwester.«
    Es ist die schlimmste Aufgabe, die ich je zu erfüllen hatte. Während ich langsam den Spiegel hebe, kommt es mir so vor, als würde ich Faros Todesurteil unterschreiben. Hat er erst mal in den Spiegel geschaut, wird der Krake kurzen Prozess mit ihm machen. Warum habe ich nur damit angefangen?
    Faro blickt in den Spiegel. Selbst im trüben Licht des Kraken sehe ich, dass die Farbe aus seinem Gesicht weicht. Ich versuche, Kontakt mit ihm aufzunehmen, doch er hat seine Gedanken abgeschottet, und so komme ich nicht an sie heran. Ich weiß nicht, was er sieht, doch es besteht kein

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