Nixenjagd
Du kannst den Sonnenschirm aufspannen. Ich mach den Sekt in der Küche auf, ja?« »Ja«, antwortete Paul. Er ging in den Garten, gefolgt von Bruno. Franziska huschte rasch in ihr Zimmer und machte den Computer aus. Für alle Fälle. Wieder in der Küche, öffnete sie die Flasche und goss den schäumenden Inhalt in zwei langstielige Gläser. Sie war nervös. Was wollte er? Vielleicht dasselbe wie ich: mir mitteilen, dass es mit uns nicht geht. Nur ist er mutiger als ich. Oder schreibfaul. Aber brachte man zu so einem Anlass Sekt mit? Eher nicht. Andererseits, bei Jungs wusste man nie, die kamen auf die seltsamsten Ideen. Sie stellte die Flasche in den Kühlschrank. Während sie die Getränke nach draußen trug, befahl sie sich: Haltung bewahren! Egal, was er dir gleich sagen wird. Bleib cool und heul nicht! Mit einem tapferen Lächeln setzte sie sich ihm gegenüber und wappnete sich innerlich. Paul erkundigte sich nach ihrer Deutsch-Hausarbeit und bekannte sich zu den Problemen, die er damit hatte: »Ich habe diesen fetten Dostojewski-Wälzer in den Ferien lesen wollen, aber ich war am Abend immer zu müde. Jetzt habe ich mir Schuld und Sühne in drei Tagen reingezogen.« »Und? Hat es dir gefallen?« »Man hätte das auch kürzer erzählen können.« Deshalb hatte er also keine Zeit für sie gehabt. Womit man bei Jungs so konkurriert, dachte Franziska: LAN-Partys, Fußballspiele und tote russische Schriftsteller. »Warum lächelst du?« »Ach, nur so.« Paul hob sein Sektglas. Etwas steif stießen sie an. »Gibt es was zu feiern?«, fragte Franziska.
»Meinen siebzehnten Geburtstag. « Franziska sah ihn fassungslos an. »Und...und ich habe kei n Geschenk. Warum hast du denn nichts gesagt? « »Ist doch in Ordnung«, grinste Paul. »Du hast mich nie gefragt. « »Weil ich nicht an Sternzeichen und solchen Quatsch glaube. « »Aha. Ich bin Jungfrau. Die sind als recht schwierig verschrien. « »Kann ich bestätigen«, sagte Franziska und nahm einen große n Schluck Sekt. Sie war auf einmal prächtiger Laune . »Wann ist deiner?«, fragte er . »Zwölfter Oktober. « »Eine Waage. Immer auf Harmonie bedacht«, dozierte Paul . »Ich sag doch, es ist Quatsch. « »Ich habe deine Mail gekriegt«, sagte Paul unvermittelt . »Ich war da gerade nicht so gut drauf«, versuchte Franziska da s Geschriebene abzuschwächen. »Es tut mir leid. « »Das braucht es nicht. Du hast ja recht. Ich werde mich bessern . Ich wollte dich nur nicht in Verlegenheit bringen. « »Warum sollte mich deine Gegenwart in Verlegenheit bringen? « »Na ja, ich habe zurzeit nicht gerade den besten Ruf. Man wei ß nie, wann wieder die Polizei bei mir auftaucht. « »Silke scheint das nichts auszumachen«, entschlüpfte es Franziska . »Silke ist doch ganz witzig«, sagte Paul . »Ich finde sie blöd. « »Ja. Kann sein. Das schließt ja nicht aus, dass sie witzig ist. Unfreiwillig«, beharrte Paul zu Franziskas Verärgerung. Sie bereute ihre Worte. Eifersucht ist ein Zeichen mangelnden Selbstbewusstseins, sagte sie sich. Wer andere Frauen schlechtmacht , ist eifersüchtig .
»Hattest du schon mal einen festen Freund?«, fragte Paul. Franziska wurde verlegen. »Nichts Richtiges«, antwortete sie vage. »Eine Urlaubsbekanntschaft aus Köln. Wir haben uns danach ein paar Mal an den Wochenenden getroffen. Aber irgendwann war es dann zu Ende. Wenn jeder andere Freunde hat und in einer anderen Stadt lebt, hat man sich bald nicht mehr viel zu sagen.« Das Ganze war ein klein wenig übertrieben. In Wahrheit hatte es sich nach dem Urlaub nur noch um eine Brieffreundschaft gehandelt, die dann eingeschlafen war. »Verstehe«, sagte Paul und ermutigt wagte Franziska zu fragen: »Und du? Bist du noch traurig wegen Solveig?« Paul zuckte mit den Schultern. »Kann ich nicht sagen. Vielleicht wäre es nach dem Umzug sowieso auseinandergegangen. Aber tot – das ist schon was anderes.« Allerdings, dachte Franziska. Möglicherweise geisterte sie nun als Heilige durch seine Erinnerung und kein Mädchen konnte ihr das Wasser reichen. Wer konnte sich schon mit einer Toten messen? Sie schwiegen eine Weile. Es war ruhig. Die meisten Bewohner der Siedlung waren noch bei der Arbeit und Kinder, die auf der Straße spielten, gab es inzwischen kaum noch. Sie sahen sich an. Paul lächelte und stellte seinen Stuhl neben den von Franziska. Dann küssten sie sich. Lange. Und als sie sich wieder gerade hinsetzten, behielt er ihre Hand in seiner. »Es tut gut, mit dir zusammen zu
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