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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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und dein Leben in den
Griff bekommst. Nach Senara zurückzulaufen, löst keine Probleme. Dort wohnen wir nicht mehr. St. Pirans hat so viel zu bieten, aber du willst davon nichts wissen und lässt dich auf nichts ein.«
    Ich versuchte, tief durchzuatmen, um mich zu beruhigen, doch seine Worte schmerzten. Meine Brust war wie zugeschnürt. Ich wollte nichts wie weg aus dem Haus, weg aus St. Pirans, den ganzen Wirrwarr von Mer und Menschen hinter mir lassen und einen Ort finden, am dem ich ganz ich selbst und nur eine einzige Person sein konnte. Doch vielleicht gab es diesen Ort gar nicht.
    »Versprich mir, dass du so etwas nie wieder machst«, schaltete sich meine Mutter ein.
    Alles, was seit gestern Morgen passiert war, schoss mir plötzlich durch den Kopf. Sadie, die sterbenskrank am Straßenrand lag. Granny Carne, die ihr wieder Leben einflößte. Die dunkle Nacht und Dads Stimme, die mich rief. Die unheimliche Stille des mondbeschienenen Wassers, nachdem Dad wieder verschwunden war. Granny Carnes Lebensbuch, dessen Worte ausgeschwärmt waren wie Bienen. Die Spuren von Indigo, die ich auf Gloria Fortunes Gesicht entdeckt habe.
    So vieles war geschehen. Nein, genau diese Dinge würde ich bestimmt nicht noch einmal tun, aber vielleicht andere. Also konnte ich es guten Gewissens versprechen: »Ich verspreche dir, dass ich so etwas nie wieder mache«, sagte ich. Vermutlich klang es aber doch ein wenig wie aufgesagt, denn Mum sah mich misstrauisch an.
    »Du versprichst es mir wirklich, Sapphy?«
    »Aber ja, Mum. Wo ist eigentlich Conor?«
    »Der hat bei Mal übernachtet. Sie wollten schon bei Tagesanbruch
surfen gehen. Aus irgendeinem Grund fing ihre Schule heute später an.«
    Na klar! , dachte ich.
    »Ist er gestern nach der Schule nach Hause gekommen?«, fragte ich mit gespielter Beiläufigkeit.
    »Nein, er ist sofort zu Mal gegangen«, antwortete Mum arglos.
    Doch Roger wusste, worauf ich hinauswollte. »Sapphire!«, sagte er warnend.
    Doch ich sprach weiter, als hätte ich ihn nicht gehört: »Conor war also genauso lange weg wie ich und kommt erst heute Abend wieder. Viel später als ich. Und um ihn machst du dir keine Sorgen?«
    »Nein!«, antwortete Mum mit Schärfe, »weil ich weiß, wo er ist.«
    »Mary Thomas hat dir gesagt, wo ich bin.«
    »Das ist nicht dasselbe. Conor ist älter als du. Außerdem kann ich ihm vertrauen.«
    »Und mir vertraust du nicht? Ich habe dir gesagt, dass Sadie todkrank war, aber du hast mir nicht geglaubt, weil du mir nicht vertraust. Ich tue diese Dinge doch nicht aus Spaß, sondern weil es einen Grund dafür gibt. Weil ich sie tun muss .«
    Beide schauten mich jetzt an. Ich glaube, ich habe sie nicht angeschrieen. Ich wollte nicht in Tränen ausbrechen. Noch vor einem Jahr hätte ich vermutlich beides getan.
    Roger beugte sich vor. »Was für Dinge?«, fragte er leise. »Was für Dinge tust du, weil du sie tun musst?«
    In diesem Moment hätte ich es ihm vielleicht sagen sollen. Ich weiß es nicht. Seit jenem Tag, an dem Roger unwissentlich nach Indigo getaucht ist und fast von den Wächterrobben
getötet wurde, habe ich das Gefühl, dass er etwas weiß. In seinem Unterbewusstsein sind Erinnerungen gespeichert, zu denen er keinen Zugang hat. Nur manchmal steigen sie vielleicht an die Oberfläche.
    Aber darüber verlor ich kein Wort. Ich sah ihn genauso ernst an, wie er mich ansah, und antwortete: »Das kann ich dir nicht sagen.«
    Dann tat Mum etwas Unerwartetes. Sie kniete sich vor meinen Stuhl und schlang die Arme um mich. Sie drückte so fest zu, dass es wehtat – als würde sie mich nie wieder loslassen wollen. »Werde nicht zu schnell erwachsen, Sapphy«, flüsterte sie mir ins Ohr. Ich traute meinen Ohren nicht. Mum will doch immer, dass wir möglichst schnell selbstständig werden, und das sind wir auch. »Ich will dich nicht jetzt schon verlieren.«
    Mich verlieren? Ich hatte das Gefühl, dass Mum plötzlich verstand, wie weit weg von ihr ich manchmal war. Sie wusste nichts von Indigo, spürte jedoch sehr genau, dass es etwas gab, das mich veränderte und von ihr entfernte. Ich dachte, sie wäre glücklich darüber, weil es ihr mehr Freiraum für ihr eigenes Leben mit Roger verschaffte, doch vielleicht irrte ich mich.
    Ich drückte sie auch an mich. Fest. Es war ein wunderbares Gefühl, denn dieses eine Mal, da bin ich ganz sicher, dachte sie weder an Roger noch an ihre Arbeit oder Dad, nicht einmal an Conor, sondern ausschließlich an mich.

    Jetzt habe ich also

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