Nixenmagier
gehofft, dass Mum bei der Arbeit sein würde, als ich am frühen Nachmittag nach Hause kam, aber das war nicht der Fall. Sie hatte ihre Früh- gegen eine Abendschicht im Restaurant eingetauscht und wartete auf mich. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als ich bemerkte, wie müde und angespannt sie aussah, doch dann begann sie zu schreien und ich schrie zurück.
Doch nicht genug, dass Mum sich hinter der Haustür postiert hatte. Auch Roger war anwesend und wartete im Wohnzimmer auf seinen Einsatz. Mit einer Zangenbewegung nötigten sie mich, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, damit sie mir von einer erhöhten Position aus die Leviten lesen konnten wie vor Gericht. Das meiste, das sie sagten (oder in Mums Fall schrieen), hatte ich erwartet.
Du hast zwei ganze Schultage versäumt. Erwartest du etwa von mir, dass ich deinen Lehrern einen Haufen Lügen über eine angebliche Krankheit schreibe?
Verstehst du nicht, wie gefährlich es ist, wenn du einfach weggehst, ohne jemand Bescheid zu sagen? Alles Mögliche hätte passieren können und wir hätten nichts erfahren.
Wenn Mary uns nicht ausgerichtet hätte, dass du bei Granny Carne bist, hätten wir die Polizei verständigt. Was, glaubst du, ist es für ein Gefühl, wenn dir die Nachbarin erzählt, wo deine eigene Tochter steckt?
Ich wusste, dass du bei Granny Carne in Sicherheit bist, aber darum geht es nicht. Du musst mehr Verantwortungsbewusstsein zeigen, Sapphy.
Deine Mutter hat sich fürchterlich aufgeregt, Sapphire, und wenn sich deine Mutter fürchterlich aufregt, geht es auch mir nicht gut.
Sie haben noch viel mehr gesagt, aber darauf war ich vorbereitet. Ich wusste, dass es einen Riesenärger geben würde, wenn ich nach Hause käme, dabei war doch am allerwichtigsten, dass Sadie wieder gesund war.
»Schaut sie doch an«, sagte ich. Sadie, die sich von unserem Krach so weit entfernt wie nur möglich hielt, streckte uns ihren Kopf entgegen. Ihre Augen leuchteten und ihr Fell glänzte. »Sie ist wieder völlig gesund. Granny Carne hat sie geheilt. Ich musste zu ihr gehen. Sie war so krank, dass sie hätte sterben können.«
»Unsinn!«, rief Mum. »Sie war krank, aber so krank nun auch wieder nicht. Du benutzt Sadie nur als Vorwand, um tun und lassen zu können, was du willst.«
Ich dachte über diesen Vorwurf nach. Er war einfach nicht berechtigt. Sadie war kein Vorwand, sondern der Kern des Ganzen. Doch Roger hatte nicht bemerkt, wie krank Sadie war, also unterstützte er Mum. »Wenn Sadie die Reise nach Senara verkraftet hat, dann kann sie nicht so krank gewesen sein, wie du sagst.«
»Das war sie aber. Sie wäre fast gestorben. An der Bushaltestelle ist sie zusammengebrochen und konnte nicht mehr aufstehen.«
»Übertreib nicht, Sapphire!«
Ich holte tief Luft, um zurückzuschreien, doch Roger hob beschwichtigend seine Hände. »So, jetzt beruhigen wir uns
wieder. Sapphire, du musst verstehen, dass sich deine Mutter große Sorgen um dich gemacht hat, und sie hat auch wirklich allen Grund, böse auf dich zu sein.«
»Warum spielst du dich so auf?«, gab ich zurück. »Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun soll. Du bist nicht mein Vater!«
Während ich dies aussprach, bemerkte ich, wie Roger leicht zusammenzuckte. Dann sah ich plötzlich Dad vor mir, so wie er sich letzte Nacht gezeigt hat. Wassertropfen glänzen auf seinen Schultern. Seine Haare sind wie Seetang, sein Gesicht sieht gequält aus. Obwohl er mein Vater ist, wirkt er wie ein Fremder. Ich kann ihn nicht einmal umarmen. So ähnlich muss es sein, wenn man seinen Vater im Gefängnis besucht und durch eine Glasscheibe mit ihm sprechen muss, ohne in der Lage zu sein, ihn zu umarmen oder zu küssen.
»Du bist nicht mein Vater«, wiederholte ich leise. »Es ist nicht so, dass ich dich nicht mag, aber …«
Ich erwartete, dass Roger zornig reagieren würde, aber das tat er nicht.
»Das weiß ich. Aber wie dem auch sei, mir ist es alles andere als egal, was mit dir passiert.«
»Nur weil du nicht willst, dass Mum traurig ist.«
»Ja, das ist ein Grund, aber nicht die ganze Wahrheit. Warum fällt es dir so schwer zu glauben, dass die Leute dich um deiner selbst willen mögen, Sapphire?« Ich wusste darauf keine Antwort, aber das machte nichts, weil Roger noch lange nicht fertig war.
»Ich will dir nicht vorschreiben, was du tun sollst. Vielleicht hast du recht und Sadie brauchte wirklich Hilfe, aber du musst dich richtig verhalten. Ich will, dass du selbst Verantwortung für dich übernimmst
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