Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
Vom Netzwerk:
Hausarrest. Kein Fernsehen, kein Computer, nicht einmal das Telefon darf ich benutzen.
    »Tu was für die Schule«, sagte Mum, bevor sie zur Arbeit ging, »und hol den Stoff nach, den du versäumt hast.«

    Ich hole mein Mathebuch heraus, aber die Zahlen wollen nicht so, wie ich will. Ich versuche zu lesen, verliere aber immer wieder den Faden. Um acht Uhr liege ich auf meinem Bett, weil es sonst nichts zu tun gibt. Ich gönne meinen Augen ein wenig Ruhe. Natürlich will ich noch nicht schlafen, dazu ist es viel zu früh. Ich habe mich nur ein bisschen hingelegt und warte darauf, dass Conor nach Hause kommt.

    Ich schrecke ruckartig aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Ich bin völlig orientierungslos und habe keine Ahnung, wie lange ich geschlafen habe. Es muss Morgen sein. Doch mein Radiowecker zeigt 21:32 und irgendjemand schlägt unten gegen die Haustür. Es ist Conor. Seine Stimme ist laut und erregt. Irgendwas muss passiert sein.
    Ich springe aus dem Bett, reiße die Tür auf und springe die Stufen hinunter. Conor und Mal stehen auf der Schwelle, beide vom Regen völlig durchnässt. Roger hat ihnen schon geöffnet.
    »Conor! Was ist los?«
    »Bei Polquidden ist ein Delfin gestrandet«, sagt er atemlos. Er muss den ganzen Weg bis hierher gelaufen sein. »Mals Dad war heute Abend fischen und hat ihn am Strand entdeckt. Er muss nach Einbruch der Dunkelheit gestrandet sein.«
    »Lebt er noch?«
    »Ja, aber es geht ihm nicht gut. Wir haben die Notrufzentrale angerufen und sie wollen ein Rettungsteam schicken. Ist Mum noch bei der Arbeit?«
    »Ja«, sagt Roger, der bereits seine Stiefel und wasserdichte Kleidung anzieht. »Ich komm mit, Conor. Ich habe eine
Grundausbildung, wie man sich bei lebend gestrandeten Tieren zu verhalten hat.«
    Das war ja zu erwarten, denke ich . Gibt es überhaupt irgendwas, was Roger nicht kann? Ich steige barfuß in meine Gummistiefel und ziehe meine Regenjacke über. Ist mir egal, ob ich Hausarrest habe. Ich gehe mit und niemand kann mich daran hindern. Roger schaut zu mir herüber, sagt jedoch nur: »Lass Sadie zu Hause. Sie würde den Delfin nur noch mehr aufregen.«
    Wir knallen die Tür zu und denken zu spät daran, dass niemand von uns einen Schlüssel hat. Conor hat seinen bei Mal vergessen. Doch wir haben jetzt keine Zeit, um darüber nachzudenken, weil wir bereits die Straße entlangrennen, um die Ecke spurten und die glitschigen, regennassen Stufen zum Strand hinunterhasten. Es herrscht Ebbe. Im Grunde müssten sich die Gezeiten schon umgekehrt haben, aber das Wasser ist noch weit entfernt. Der Delfin muss also bei ablaufendem Wasser gestrandet sein. Was hat ihn dazu veranlasst, dem Ufer so nahe zu kommen? Vielleicht ist er krank, hat sich beim Zusammenstoß mit einem Fischtrawler verletzt oder aus anderen Gründen die Orientierung verloren.
    Wir laufen über den weiten, leeren Strand, platschen durch die Pfützen, die das Meer zurückgelassen hat, rennen über den harten, gerippten Sand hinweg, dem schwachen Licht entgegen, das an den Felsen auf der linken Seite des Strandes hin und her schaukelt. Durch die Regenschleier hindurch ist es nur vage zu erkennen.
    »Wo ist Mal geblieben?«
    »Er holt mehr Hilfe.«
    Wir laufen so schnell wir können. Mal scheint das Licht
näher, mal weiter entfernt zu sein. Dann wieder sind wir nur von Regen und Dunkelheit und unserem keuchenden Atem umgeben. Doch plötzlich tauchen schemenhafte Gestalten aus der Finsternis aus. Roger hebt seine Taschenlampe. Dort steht ein Mann, Mals Vater. Neben ihm liegt ein geschwungener, massiger Körper. Er glitzert im Regen, wie ein nasser, schwarzer Felsen, der aus dem Sand ragt. Aber es ist kein Felsen, es ist ein Delfin.
    Ich habe mir nie ein Bild davon gemacht, was »gestrandet« wirklich bedeutet, bis ich den Delfin hier im Sand liegen sehe. Unfähig, sich zu bewegen. Unfähig, zu entkommen.
    Roger ist uns vorausgeeilt und ruft Mals Vater entgegen: »Wie sieht’s aus, Will?«
    »Ein Weibchen, ungefähr eine halbe Tonne. Sieht nicht gut aus!«, ruft er zurück. »Aber sie kämpft.«
    Kämpft ums Überleben, meint er. Sie bewegt sich nicht. Sie ist aus ihrem Element herausgerissen, gestrandet auf hartem Sand. Sie liegt auf der Seite.
    »Schätze, die Flut wird für sie zu spät kommen.«
    »Niedrigwasser war circa um acht, nicht wahr?«
    »Ja, und jetzt ist es Viertel vor zehn. Das Wasser müsste sie gegen elf erreichen.«
    »Ist sie verletzt?«
    »Sie hat Schnittwunden in ihrer Flanke und blutet. Die

Weitere Kostenlose Bücher