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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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Ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten.
    »Halte aus! Halte aus, hwoer kerenza. Da draußen warten sie alle auf dich. Sobald das Wasser tief genug ist, werden sie kommen, um dir zu helfen. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben.«
    »Saph!«
    Ich blicke auf.
    »Saph!«, flüstert Conor eindringlich. »Du sprichst Mer! Das darf keiner hören!«
    »Was?«
    »Conor, kannst du uns helfen?«, ruft Mal vom Graben aus. Vom Wasser nähern sich zwei Lichter. Rogers und Wills Taschenlampen. Sie schleppen zwei schwere Eimer, und hinter ihnen …
    »Conor, sieh nur! Die Flut kommt!«
    Mal und die anderen knien im Sand, als die erste Zunge mit weißem Schaum sie berührt. Rainbow läuft mit schaukelndem Eimer den Strand hinauf. Eine Welle überspült Conors Stiefel. Roger und Will waten eilig durchs knietiefe
Wasser. Die Welle zieht sich zurück, doch die nächste folgt sogleich.
    »Wir brauchen den Graben nicht mehr!«, ruft Conor und schwenkt die Laterne. »Die Flut ist schon da!«
    »Habe noch nie erlebt, dass das Wasser so schnell kommt«, keucht Will. »Fast hätte es uns erwischt, was, Roger?«
    »Wir müssen dafür sorgen, dass ihr Blasloch frei bleibt«, sagt Roger. »In ihrem Zustand kann sie ertrinken, bevor sie freikommt. Sapphire, Rainbow, ihr solltet jetzt lieber zurückgehen. Die Flut kommt sehr schnell.«
    Ich schweige. Roger ist offenbar der Meinung, dass die Jungs noch bleiben können, weil sie größer und stärker sind als wir. Doch ich werde nirgends hingehen. Das Delfinweibchen braucht mich hier. Ein erneuter Schwall Meerwasser umspült ihren eingesunkenen Körper. Das Wasser schäumt und sprudelt, bevor es wieder abläuft. Roger hat recht, wir müssen sie unterstützen, bis das Meer so weit gestiegen ist, dass es sie mit sich fortträgt. Es geht nur um wenige lebenswichtige Minuten. Wenn sie diese Minuten übersteht, ist sie vielleicht endgültig gerettet.
    Rainbow betrachtet das anschwellende Wasser. Plötzlich sehe ich, dass sie Angst hat. Die Geschwindigkeit der Flut bereitet ihr ebenso viel Angst wie der raue, harte Sand dem Delfin. Offensichtlich ist Rainbow wie Mum, ganz und gar der Erde verbunden, ohne einen einzigen Tropfen Mer-Blut. Die Situation ist bedrohlich für sie.
    »Mach, dass du wegkommst, Rainbow!«, schreit Patrick. »Sofort! Sonst wird dir das Wasser die Beine wegreißen!« Nach einem letzten ängstlichen Blick dreht sie sich um und watet schwerfällig durch das Wasser in Richtung Ufer.
    »Wir haben keine Zeit, uns nach den Vorschriften zu richten«,
sagt Roger. »Wie müssen sie festhalten. Kommt her, Jungs, und passt auf ihre Schwanzflosse auf. Alle auf diese Seite, und haltet sie gut fest, damit das Meer sie nicht umwälzt.
    Zu sechst stützen sie die Flanke des Delfins, die dem Land zugewandt ist, bevor sein Körper ganz vom Wasser umspült wird. Dies ist der gefährlichste Moment, weil das Wasser tief genug ist, um sie zu ertränken, doch noch nicht tief genug, um sie endgültig zu befreien. Ich halte mich so nahe es geht neben ihrem Kopf auf. Hier nutze ich ihr mehr, als wenn ich sie ebenfalls stütze. Ich stehe mit den Stiefeln im Wasser und muss gewaltig aufpassen, dass ich in der Brandung nicht die Balance verliere, auch wenn die See heute Abend relativ ruhig ist. Mals Vater hat recht gehabt. Was hätten wir bei stürmischem Wetter schon ausrichten können?
    »Alles wird gut«, sage ich zu ihr. »Das Meer kommt dir zu Hilfe. In wenigen Minuten wirst du frei sein. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich weiß, wie schwer das ist, aber versuch, ganz ruhig zu bleiben und nicht mit der Schwanzflosse zu schlagen, damit du dich nicht noch mehr verletzt. Wir versuchen, dich zu befreien.«
    Ich glaube, sie weiß es. Trotz ihrer Verzweiflung und Erschöpfung bleibt sie ganz ruhig und erlaubt den anderen, sie zu stützen, damit das auflaufende Wasser nicht ihr Blasloch überschwemmt, solange sie noch gefangen ist. Doch es ist ein harter Kampf. Sie ist groß und schwer und ihre Haut, die durch das Meerwasser zum Leben erweckt wurde, sehr glitschig. Wir stehen bis zu den Knien, teils bis zur Hüfte im Wasser. Wird sie durchhalten? Wird sie die Kraft aufbringen? Die Laterne ist erloschen. Mals Vater hat die Taschenlampe
zwischen den Zähnen. Schatten tanzen über das Wasser.
    »Vorsicht! Sie beginnt, sich zu bewegen!«
    »Zurück! Geht zurück, Jungs!«
    Die See löst meine Füße vom Boden. Ich befinde mich von Angesicht zu Angesicht mit dem Delfinweibchen. Angst und Schmerz, die

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