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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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sie bis jetzt gelähmt haben, lassen allmählich nach. Indigo erfüllt sie mit neuer Kraft. Noch eine Welle … und eine zweite …
    Ihr Körper dreht sich zitternd herum, wie ein gestrandetes Boot, das langsam Wasser unter den Kiel bekommt.
    »Bleib ruhig. Lass das Meer die Arbeit erledigen. Es wird dich mit sich forttragen.«
    »Sapphire! Wo ist das Mädchen?«
    »Sapphire!«
    Ich strampele im Wasser, meine Haare kleben über meinem Gesicht und nehmen mir die Sicht. Mein Mund ist voller Salz. Eine Woge hebt sie empor. Ist sie frei? Nein, sie fällt zurück. Die nächste Woge hebt uns beide empor, und dieses Mal spüre ich, wie ihr gesamter Körper plötzlich in ihrem vertrauten Element ist.
    »Schwimm jetzt«, sage ich. »Schwimm.«
    Mühelos dreht sie sich in die Flut, dem offenen Meer entgegen. Dann hält sie kurz inne, als würde sie lauschen. Ich lausche ebenfalls. Das Wasser steigt weiter und schließt sich über meinem Kopf. Für wenige Sekunden tauche ich in Indigo ein und höre dieselben Geräusche wie sie. Ein Gewirr von Delfinstimmen, die ihre Schwester geflissentlich aus der Bucht lotsen und zu ihnen zurückführen. Es hat nichts mit menschlicher Sprache gemein, sondern klingt wie Musik, deren Bedeutung sich Schicht um Schicht erschließt
und dem verletzten Delfin von Rettung, Heilung, Geborgenheit und Freiheit kündet.
    Langsam und zögernd findet ihr geschundener Körper zu sich selbst und beginnt, sich zu bewegen. Als sie mich streift, werde ich kurz von dem verzweifelten Wunsch gepackt, auf ihren Rücken zu klettern, so wie ich letzten Sommer auf den Rücken eines Delfins kletterte und auf ihm durch Indigo ritt. Doch sie gleitet bereits ins Dunkel. Zunächst gemächlich, dann immer schneller, als glaube sie erst jetzt an ihre eigene Freiheit. Ihre Schwanzflosse schlägt, Wasser schäumt auf, dann ist sie verschwunden.
    Ich kann nicht glauben, dass sie fort ist. Ich strecke meine Arme, um sie ein letztes Mal zu berühren, doch sie greifen ins Leere. Sie ist verschwunden und ich steige an die Oberfläche.
    »SAPH!« Die Stimme meines Bruders. Doch wo ist er? Ich dachte, wir wären alle um den Delfin versammelt gewesen, aber die dunkle See ist vollkommen leer. Wo bin ich? Ich strampele mit den Beinen und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. Alles ist dunkel. Ich sehe weder Lichter noch irgendwelche Landmarken. Wo sind die anderen geblieben? Ich werde von reiner Panik ergriffen.
    »SAAAAPPHH!«
    Die Stimme kommt von hinten. Ich drehe mich um und sehe in circa einhundert Metern Entfernung eine Taschenlampe aufblitzen. Dahinter, oberhalb des Strandes, erkennt man die Lichter von St. Pirans. Ich habe mich nicht verirrt, sondern nur in die falsche Richtung geschaut, aufs Meer hinaus. Ich drehe mich um und schwimme dem Strand entgegen, doch rufe ich nicht zurück, damit Conor nicht auf die Idee kommt, ins Wasser zu springen, um mich zu retten.

    Ich bin nicht in Gefahr. Das Wasser im November muss kalt sein, doch fühlt es sich nicht kälter an, als wenn ich mit Faro in Indigo unterwegs bin. Kann es sein, dass ich immer noch in Indigo bin, unter Indigos Schutz stehe, obwohl ich längst die Luft einatme? Dieses Gefühl umschließt mich vollkommen, gibt mir Freiheit und Geborgenheit. Ich könnte die ganze Nacht hindurch schwimmen. Im Grunde will ich auch gar nicht an Land, sondern im tiefen Wasser bleiben. Doch Conor würde denken, dass mich eine Strömung mit sich fortgerissen hat. Ich muss ihm sagen, dass es mir gut geht. Ich schwimme schneller, dem Licht der Taschenlampe entgegen.
    Sobald ich an Land stapfe, schlägt mir die Kälte entgegen. Ich beginne so gewaltig zu zittern, dass ich kaum in der Lage bin, den anderen etwas zuzurufen. Sie haben mich ohnehin gesehen und laufen mir entgegen.
    »Saph! Alles in Ordnung?«
    »Sie … sie ist fort. Sie ist frei, zzzurück in In…«
    »Los, Saph. Die Flut kommt rasend schnell. Pat, nimm ihren anderen Arm. Sie ist total durchnässt.«
    Nach dem Kampf um den Delfin ist jeder von uns durchnässt. Frierend und zitternd wanken wir über den Strand. Das Segeltuch und die Laterne sind fortgespült worden. Die letzte verbliebene Taschenlampe spendet ein müdes, gelbes Licht. Schließlich erreichen wir die Stufen.
    In diesem Moment fällt Roger ein, dass wir keinen Hausschlüssel dabeihaben. »So, wie wir aussehen, können wir uns unmöglich bei Jennie im Restaurant blicken lassen«, sagt er. »Sie würde sich zu Tode erschrecken.«
    Ich friere zu sehr, um darüber

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