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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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wieder der Schreck in die Glieder fährt.
    »Bitte sagen Sie Faro …« Welche Botschaft soll ich ihm übermitteln? »Sagen Sie ihm, dass ich ihn so gern noch gesehen hätte. Versichern Sie ihm, dass ich zurückkomme.«
    »Natürlich, das werde ich tun. Doch jetzt beeilt euch. Der Sturm braut sich bereits zusammen.«

    Obwohl ich meine Augen fest geschlossen halte, spüre ich, dass wir das Territorium der Haie erreicht haben. Ein kalter Strom wandert durch mich hindurch wie eine Radarwelle. Meine Haut zieht sich zusammen. Kälte, Leere, Feindschaft. Die Haie mustern uns und befragen ihre Erinnerung, was sie mit uns tun sollen.

    Ich muss meine Augen öffnen. Ich sollte sie nicht verschlossen halten wie ein Baby, das Verstecken spielt. Wenn ich dich nicht sehe, kannst du mich nicht sehen. Das ist es, was Babys denken. Doch die Haie sehen mich nur zu gut. Ich öffne die Augen. Die Vielzahl der Haie macht das Wasser grau. Hier sind sie, in einer Linie, und halten Wache. Ich schaudere, als sie auf mich zukommen, prüfend und hungrig.
    Wer ist das?
    Die Stimme ist streng, doch ohne jedes Gefühl. Der Hai geht emotionslos seiner Pflicht nach. Die Delfine, die uns tragen, schwimmen dicht nebeneinander und berühren sich fast.
    »Hab keine Angst, Saph«, sagt Conor leise. Er hebt den Kopf. »Sieh den Haien in die Augen und sag ihnen, wer wir sind.«
    »Wir sind … wir sind …« Meine Stimme ist dünn. Plötzlich spüre ich, wie die Haie meine Schwäche wittern. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, dass der Hai, der am weitesten entfernt ist, uns zu umkreisen beginnt.
    »Wir stehen unter Saldowrs Schutz«, sagt Conor. Seine Stimme ist ruhig. Ja, das ist es, was ich sagen muss. Ich nehme all meinen Mut zusammen und versuche, das wilde Pochen meines Herzens zu ignorieren. Mein Mund ist voller Salzwasser. Dieser Geschmack macht mich stark. Saldowrs Stimme in meinem Ohr: Du darfst keine Schwäche zeigen. In der Tiefe hast du überlebt.
    Hab keine Angst, sage ich mir. »Wir sind … wir stehen unter Saldowrs Schutz«, wiederhole ich, diesmal mit festerer Stimme, und dann fallen mir die richtigen Worte ein. »Erinnert euch an uns, Freunde, so wie wir uns an euch erinnern. Saldowr beschützt uns.«

    Der eisige Griff der Haie löst sich. Die Delfine sammeln all ihre Stärke, gleiten empor und rauschen davon. Das Territorium der Haie entschwindet in der Ferne. Es ist, als käme man aus einer klammen Höhle an die Sonne. Wir jagen mit den Delfinen dahin, teilen die wilde Freiheit ihrer Sprünge, indem wir plötzlich vom Grauen ins Blaue schießen und uns für einen Augenblick über der Wasseroberfläche befinden – in der Welt der Luft, der Möwen und der schäumenden Gischt –, um im nächsten Moment wieder in die Wellen einzutauchen.
    Conors Delfin bleibt dicht an der Oberfläche und nie länger als ein paar Sekunden unter Wasser. Unsere Delfine springen parallel in die Luft – das Wasser strömt von ihren Körpern, indem sie sich hoch über der See wölben – und tauchen durch den schaumigen Wellenkamm.
    Conor dreht sich mit strahlendem Gesicht zu mir um. Das ist es, was er will – in Indigo und doch nicht in Indigo sein, die Freiheit der Delfine teilen und ungehindert atmen können.
    Als wir das nächste Mal an die Oberfläche kommen, sehe ich ein Schiff am fernen Horizont, einen schwarzen Felsen und einen Leuchtturm. Das Tageslicht blendet mich.
    »Der Bishop Rock!«, ruft Conor, »wir sind fast zu Hause.«
    Die Erde wirdimmer Conors Zuhause sein. Ich wünschte, ich wäre da ebenso sicher. Ich schmiege mein Gesicht an den Rücken des Delfins und rieche das Salz von Indigo. Ich will nicht fort. Solange ich auf dem Rücken des Delfins reite, bin ich immer noch in Indigo. Irgendwo in der Tiefe, in einer steinernen Wiege, liegt mein kleiner Bruder. Irgendwo im Wasser führt mein Vater ein anderes Leben.
    Ich kann nicht fort, nicht jetzt …

    Doch bleibt mir keine Wahl. Ohne die Delfine kann Conor nicht überleben, und die Delfine sind keine zahmen Tiere. Sie nehmen uns mit auf die Reise, doch danach kehren sie zu ihrem eigenen Leben zurück. Ach wäre ich doch …

    Wir schwimmen die Küste entlang, befinden uns an der Luft, sind aber nicht auf sie angewiesen, weil wir immer noch in Indigo sind. Neben uns ragen mächtige Granitfelsen aus dem Wasser. Auf ihrer Kuppe eine Handvoll Wohnhäuser, die aussehen wie Spielzeughäuschen. Ich kann das Land riechen. Nie zuvor habe ich seinen Geruch so intensiv wahrgenommen. Wir kommen

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