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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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wahr, was um sie herum geschieht. Ich knipse die Nachttischlampe an, doch diesmal stört sie das Klicken nicht. Regenschlieren laufen quer über das Fenster. Der Sturm ist hier weniger zu hören, weil Mums Zimmer nach hinten rausgeht. Mum sucht sich immer ein Zimmer, das nicht auf der Seeseite liegt. In diesem Moment höre ich das Anschwellen einer Sirene. Ein Polizeiauto oder ein Krankenwagen. Vielleicht auch der Rettungsdienst, der bereits auf Rogers Hilferuf reagiert hat.
    Sehr vorsichtig berühre ich Mums Hand. Ich will sie nicht erschrecken. »Mum?«
    Doch sie murmelt nur vor sich hin und dreht ihren Kopf weg.
    »Mum!«, sage ich etwas lauter.
    Schließlich öffnet sie die Augen. Sie sind sehr hell, doch
Mum sieht verwirrt aus. Sie scheint mich noch nicht zu erkennen.
    »Mum, wir müssen aufstehen. Roger wird uns gleich abholen. Es ist ein Notfall.« Ich traue mich nicht, Mum reinen Wein einzuschenken, ehe sie nicht richtig zu sich gekommen ist. Sie hat so schreckliche Angst vor dem Meer.
    »Sapphy!« Nur mit Mühe hebt sie ihren Kopf. Ihre Stimme ist heiser und trocken. Ich strecke meine Hand nach dem Wasserglas aus, das auf ihrem Nachttisch steht, und halte es ihr an die Lippen. Sie nimmt einen kleinen Schluck und lässt ihren Kopf erschöpft aufs Kissen zurücksinken. »Ich habe solche Schmerzen in meiner Brust, Sapphy«, flüstert sie.
    Mum ist wirklich krank. Ich sehe es ihr deutlich an, obwohl ich von Krankheiten eigentlich keine Ahnung habe. Sie ist sehr heiß, atmet schnell und stoßweise.
    »Hör mir zu, Mum! Du musst jetzt aufstehen und dich anziehen. Roger glaubt, dass es eine Flutwelle geben wird.«
    Mums Gesicht erstarrt. Ich weiß, dass sie mich gehört und verstanden hat. Sie drückt meine Hand mit erstaunlicher Kraft.
    »Er alarmiert die Leute in der Umgebung und fordert sie auf, sich in Sicherheit zu bringen. Conor tut dasselbe. Roger hat gesagt, du sollst dich schon mal anziehen und auf ihn warten. Er wird gleich zurück sein.«
    Mit großer Anstrengung schlägt Mum ihre Decke zurück, schwingt ihre Beine aus dem Bett und versucht aufzustehen. Ich halte sie am Arm, sie schwankt ein wenig und fällt dann aufs Bett zurück. »Entschuldige, Sapphy, aber mir ist so schwindelig.«
    Ich gebe ihr mehr Wasser zu trinken. Sadie zieht an ihrem
Nachthemd, als wolle sie Mum ganz allein retten, wie ein Hund in einem Märchen.
    »Lass das, Sadie. Das ist keine große Hilfe.«
    Alles läuft schief. Ich sollte draußen bei Conor und Roger sein, um die Leute zu warnen. Was Rainbow und Patrick wohl machen? Rainbow ist wie Mum. Sie hat ohnehin große Angst vor dem Meer. Was ist, wenn Roger und Conor ihr Haus vergessen? Es steht direkt am Wasser, und sollte es eine Flutwelle geben, dann wird ihr Haus zuerst betroffen sein.
    Mum öffnet erneut die Augen. »Geh, Sapphy. Geh jetzt. Ich komme schon allein zurecht.«
    Sie ist genau wie Dad , denke ich verzweifelt. Beide bitten mich zu gehen, als spiele es keine Rolle, was mit ihnen passiert. »Ich habe schon meinen Vater verloren«, sage ich grimmig. »Ich will nicht auch noch meine Mutter verlieren. Entweder du kommst mit oder wir bleiben alle hier.«
    »Nein, Sapphy, du musst gehen …«
    »Ich meine es ernst, Mum. Ich bleibe hier. Ruh dich noch ein wenig aus«, sage ich so beruhigend wie möglich, »dann bist du bestimmt gleich wieder auf den Beinen.«
    Ich stöbere in Mums Schubladen, um möglichst warme Kleidung zu finden.
    »Sadie, bitte hör auf zu ziehen! Ich möchte genauso gern weg wie du, aber jetzt geht das noch nicht.«
    Mit nahezu übermenschlicher Anstrengung versucht Mum erneut, auf die Beine zu kommen, aber es will ihr einfach nicht gelingen. Ich sehe den bleichen, verwirrten Ausdruck in ihrem Gesicht. Doch dann kommt ihr eine Idee. »Den Brandy, Sapphy! Hol mir den Brandy von unten! «

    Sadie und ich rennen die Treppe hinunter. Sie weicht mir nicht eine Sekunde von der Seite. Ich öffne die Küchenschränke und suche nach dem Weinbrand. Ich wusste nicht einmal, dass wir so etwas haben, doch Mum hält alle Flaschen zusammen, also muss sich der Weinbrand hinter der merkwürdig aussehenden Flasche Tequila befinden, die ihr jemand aus Mexiko mitgebracht hat … so, das ist er.
    Meine Hände zittern so stark, dass ich die Hälfte verschütte, als ich ihn in ein Glas fülle. Was soll’s. Plötzlich beginnt Sadie wieder so hysterisch zu bellen, dass ich zusammenzucke und noch mehr Brandy verschütte. Vielleicht sollte ich ihr auch welchen zu trinken geben,

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