Nixenmagier
um sie zu beruhigen. Dürfen Hunde Weinbrand trinken?
Reiß dich zusammen, Sapphire! In diesem Moment höre ich, wie jemand mit den Fäusten gegen unsere Haustür trommelt. Zunächst denke ich verwirrt, dass es Roger sein muss, der uns vor der Flutwelle warnen will.
Aber es ist Rainbow. Sie trägt eine Regenjacke ohne Kapuze. Ihre Haare sind klatschnass. Mit panischer Stimme ruft sie mir entgegen: »Schnell, Sapphire, nichts wie weg hier! Sie kommt!«
»Was … schon?«
»Das Meer spielt völlig verrückt. Der Wind hat sich gelegt, und plötzlich war das Wasser spiegelglatt, als würde es zusammengepresst. Dann hat es sich zurückgezogen. Es wurde förmlich zurückgesaugt, Sapphire, es ist schrecklich. Alle rennen!«
»Wo ist Patrick?«
»Mit Conor unterwegs.«
»Oh mein Gott, Rainbow! Schau …«
Am Ende der Straße, im Licht der Straßenlaternen, steht
etwas. Schwarz und glitzernd, eine Wasserwand. Wir sagen nichts, denken nichts. Wir rasen mit Sadie die Stufen hinauf. Wenige Sekunden später geht ein zitternder Ruck durchs Haus, als es vom Wasser getroffen wird.
Sechzehntes Kapitel
A ls wir die oberste Stufe erreichen, geht das Licht aus. Ich greife nach Rainbows Hand. »Hier lang!«
Sadie bellt in einer Tour. Ich höre Mums Stimme: »Sapphire! Sapphy! Ist alles in Ordnung?«
»Alles okay, Mum, wir sind hier. Ruhig, Sadie, ganz ruhig.«
»Ich halte sie fest«, sagt Rainbow, die plötzlich zu wissen scheint, was sie in diesem Moment tun muss. »So, liebe Sadie, es ist alles gut. Du kannst Sapphire jetzt loslassen.« Offenbar hält Rainbow Sadie am Halsband fest, denn ich spüre ihr Gewicht nicht länger. Gemeinsam eilen wir den Flur entlang zu Mums Schlafzimmer.
Die Dunkelheit ist fast undurchdringlich. Aus dem Erdgeschoss dringen unheimliche Geräusche herauf, die ich noch nie innerhalb des Hauses gehört habe. Zuerst ein Ziehen, dann ein Platschen, gefolgt von einem dumpfen Laut, als würde etwas umhertreiben und an die Wände schlagen. Das Geräusch des Wassers ist überall. Das Meer ist ins Haus eingedrungen und nimmt bereits das Wohnzimmer in Besitz.
Rainbow und ich halten uns an den Händen, schweigend, lauschend. Sadies Hecheln ist unüberhörbar. Rainbow zittert. »Das Wasser wird die Treppe heraufkommen«, flüstert sie entsetzt.
Wir drücken Mums Tür auf und stolpern an ihr Bett.
»Sapphy! Sapphy! Gott sei Dank, dass du da bist«, kommt es aus der Dunkelheit. »Was geschieht hier?«
»Das ist die Flutwelle, Mum. Wir haben gesehen, wie das Wasser die Straße hinunterkam.«
»Ich habe gehört, wie das Haus getroffen wurde.« Mums Stimme klingt jetzt fester. »Geh ans Fenster, Sapphy! Mach es auf und schau nach, wie hoch das Wasser schon steht.«
»Ich kann nichts sehen, nicht mal das Fenster.«
»Das liegt an den Jalousien, die Roger befestigt hat.« Natürlich, die hatte ich ganz vergessen. Roger hat die Jalousien angebracht, damit Mum nach der Spätschicht richtig ausschlafen kann. Vielleicht ist es draußen nicht ganz so dunkel wie hier.
Plötzlich wird mir bewusst, dass ich immer noch das Glas Brandy in der Hand halte. »Rainbow, halt das mal kurz.«
»Was ist das?«
»Weinbrand.«
»Ich wusste gar nicht, dass du trinkst.«
Es tut so gut, dass Rainbow sich gefangen hat und einen Witz macht. »Der ist für Mum.«
Rainbow nimmt das Glas, während ich um das Bett herum zum Fenster gehe. Zunächst verheddere ich mich im Vorhang, bevor ich die Schnur der Jalousie zu fassen bekomme. Doch als ich fest daran ziehe, kommt mir ratternd das ganze Rollo entgegen.
»Ich glaub, ich hab die Jalousie kaputt gemacht, Mum.«
»Macht nichts«, entgegnet sie. »Ich meine… wenn sowieso alles weggeschwemmt wird.« Sie lacht hysterisch auf.
Sobald die Jalousie am Boden liegt, ist es nicht mehr völlig dunkel. Ein fahles, bläuliches Licht scheint ins Zimmer.
Ich hebe den Kopf und sehe den Mond klar und hell am Himmel stehen, als hätte sich nichts geändert. Dann schaue ich nach unten, um einen Blick auf die Straße …
Aber ich sehe keine Straße, sondern nur schwarzes, glänzendes Wasser. Beim Haus gegenüber ist bereits die halbe Haustür verschwunden. Eine Welle läuft durch das Wasser, das weiter an der Hauswand emporsteigt, als lecke es an der Farbe. Rainbow ist neben mich getreten, um ebenfalls hinauszusehen. Ich höre, wie sie heftig die Luft einzieht.
»Es ist alles okay. Wir haben genug Zeit. Ich mache jetzt das Fenster auf«, sage ich.
»Nein, Sapphire!«
»Wenn ich mich
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