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Natürlich hatte Kommissar Faroux den Fall in die Hand genommen, klar. Ihm standen Dromat, Lecuyer und Alibert zur Seite. Über diese Inspektoren und ihre Verdienste war noch nie soviel berichtet worden. Ich hatte das Gefühl, daß der Presse nichts Besseres einfiel. Von dem Opfer hieß es nur, daß er ein ehemaliger Angestellter des Diderot-Hôtel war. Mehr nicht. Diskret wie immer.
Ich hätte liebend gerne einen Tausender rausgerückt, um einen Beruhigungsspaziergang durch die Räume der Kripo zu machen. Aber mir fiel einfach kein Vorwand ein. Und selbst mit Vorwand hätte ich mich nicht in die Höhle des Löwen begeben. Florimond Faroux hört immer sofort die Flöhe husten. Im Augenblick legte ich keinen gesteigerten Wert darauf, seine Aufmerksamkeit auf meine Wenigkeit zu lenken. Ganz und gar nicht. Bisher hatte niemand davon erfahren, daß ich für die Internationale Versicherungsgesellschaft arbeitete. Jetzt war es weniger denn je angebracht, damit rauszurücken und irgendeinen Verdacht aufkommen zu lassen.
Natürlich beehrte mich Monsieur Grandier wieder mit einem Telefonanruf. Seinem Optimismus war ein schwerer Schlag versetzt worden. Seine wütende Stimme ließ die Membrane vibrieren.
„Haben Sie die Zeitungen gelesen?“ bellte er.
Neulich hatte ich ihm dieselbe Frage gestellt. Jetzt gab er sie mir zurück.
„Ja.“
„Und? Ist das ‘ne besondere Begabung von Ihnen oder was? Immer zu spät, und immer wenn...“
„Diesmal war ich’s aber nicht, der die Leiche entdeckt hat.“
„Ihr Glück. Ich könnte sonst noch auf krumme Gedanken kommen. Was gedenken Sie zu tun?“
„Hab schon so zwei oder drei Ideen“, log ich. „Muß sie erstmal sortieren.“
Schlecht ausgedrückt, Nestor! Erinnerte an einen Finanzbeamten.
„Noch ist nichts verloren“, fügte ich aufmunternd hinzu. „Hoffentlich. Natürlich...“
Er lachte.
„...Haben Sie noch keine Idee, wer der Täter sein könnte?“ Ich schenkte mir die Antwort. Sie hätte ihm die Sprache verschlagen.
„Hallo?“ brüllte er. „Sind Sie eingeschlafen?“
„Dafür ist jetzt nicht der richtige Augenblick. Und Sie?“
„Ich? Wieso ich? Ich kann überhaupt gar nicht mehr schlafen.“
„Vielleicht weil Sie besser Bescheid wissen als ich?“
„Was wollen Sie damit sagen, Burma?“
„Ach, nichts. Gar nichts. Ich red Quatsch. Die Nerven...“ Mit ein paar tröstlichen Worten schaffte ich mir Grandier vom Hals. Dann ging ich zu Hélène in die Agentur Fiat Lux, Rue des Petits-Champs. Hübsch wie immer, saß sie vor ihrer Schreibmaschine. Als einzige von meinen Mitarbeitern war sie eingeweiht. Ich erzählte die neuesten Neuigkeiten. Ich war ziemlich niedergeschlagen und mußte mich jemandem anvertrauen.
„...Traurige Augen, sah aus wie ein Witwer“, sagte ich. „Sogar bei diesen Temperaturen wirkt er wie ein Eisblock. Er hat Bernard Lebailly umgebracht. Hatte ‘ne Verabredung mit ihm. Ging weg, kam wieder... bestimmt um seine Fingerabdrücke abzuwischen... oder hatte was vergessen. Jedenfalls hat er Lebaillys Namensschild entfernt...“
„Wie ein Witwer?“ fragte Hélène und schüttelte ihre kastanienbraune Haarmähne. „Das ist doch kein Beruf“, bemerkte sie lächelnd.
„Von Beruf ist er Polyp.“
„Was?“
Ich legte meine Hand auf ihren Arm.
„Vergessen Sie das, Chérie. Beinahe hätt ich mich ganz schön in die Nesseln gesetzt. Werd mich schnell abseilen. Und ich möchte nicht, daß Sie Ihre hübsche Nase da reinstecken.“
„Ein Polizist“, wiederholte sie. „Also wirklich...“
„Das sind keine Chorknaben. Das hat schon Georges Clemenceau vor mir festgestellt. Aber ich bin auch kein Chorknabe. Werd in diesem Scheißspiel nicht länger den Blödmann spielen...“
„Was werden Sie tun?“
„Nichts. Wenn ich nämlich Grandier sage, daß ich den Fall sausen lasse, passiert immer irgendetwas. Und dann mach ich weiter. Diesmal sag ich nichts, höre aber tatsächlich auf. Wenn er anruft, sagen Sie nur immer: Nichts Neues. Irgendwann wird er’s leid.“
* * *
So richtig ließ ich den Fall aber doch nicht sausen. Die nächsten drei Tage versuchte ich, mehr über den Inspektor in Erfahrung zu bringen, den ich bei der merkwürdigen Ausübung seiner Pflichten überrascht hatte. Leider ohne Ergebnis.
* * *
Am Freitag, dem 17. Juni, aß ich mit Hélène in der Rue des Moulins zu Abend. Beim Dessert rief meine Sekretärin plötzlich:
„Ich bin eine miserable Mitarbeiterin. Hab doch glatt vergessen, daß
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