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hinauf. An der Tür der neuen Wohnung von Bernard Lebailly hing jetzt ein Pappschild mit dem Namen des arbeitslosen Nachtportiers. Eine ungelenke Handschrift. Am Samstag hatte das noch nicht dort gehangen. Er erwartete wohl Besuch. Folglich war der Vogel nicht ausgeflogen. Ich stellte mir vor, daß er sich auf dem Bett lümmelte, Zigarette im Mund, alle viere von sich gestreckt, vor der Nase einen Simenon oder einen Boileau-Narcejac. Aber ich bin auch nicht allwissend. Die Tür hätte ruhig fester geschlossen sein können. Als ich leicht klopfte, sprang sie auf. Niemand reagierte auf mein Eindringen mit entsprechendem Gefluche oder einem gepfefferten Rausschmiß. Also betrat ich das hübsche, saubere Zimmer.
Auf der Wäscheleine vor dem Fenster trockneten ein Herrenhemd und ein Damenslip, andersfarbig als der von Samstag. Das Fenster war fest verschlossen. So waren die Geräusche aus der Tischlerwerkstatt nur noch gedämpft zu hören. Dafür war die Luft ziemlich dick, was gar nicht so vorteilhaft war. Kam mir vor wie in einer Bratpfanne. In meinen Handflächen sammelte sich schmutzig-feuchter Schweiß, von meinen Schläfen tropfte es.
Plötzlich fuhr ich hoch. Nach einer kurzen Ruhepause hatte die Kreissäge ihre Arbeit wieder aufgenommen, ohne Vorwarnung. Zuerst, als sie in Gang gesetzt wurde, zirpte sie; dann, als die Stahlzähne sich in das Vorgesetzte Brett fraßen, kreischte sie gefräßig. Zwischendurch änderte sie nochmal die Tonlage. Zum Schluß wurde das Kreischen schneller, wie bei einem Liebesakt, endete dann in einem Schrei des Triumphes, bevor das ausgelieferte Brett, in zwei saubere Teile geschnitten, losgelassen wurde. Ich sah die Bretter vor mir: wie sie unter die Säge gelegt und von den erfahrenen Händen eines Tischlers geführt wurden. Helle Bretter, zugeschnitten, poliert, angenehm zu berühren, umgeben von gut duftendem Sägemehl. Bretter von spezieller Form, wenn möglich länglich. Man hätte nicht bis ans Ende der Welt laufen müssen, um einen Sarg zu bestellen. Einen Sarg für Bernard Lebailly. Unten hätte man ihm sicher einen Freundschaftspreis gemacht.
Der Heilige Antonius von Padua, dessen Fest heute gefeiert wurde, läßt Nestor Burma immer die Leichen finden, die er so nötig hat wie Sauerstoff. Verdammt nochmal, lieber Antonius! Entschuldige, aber auch auf diese hier hätte ich gut verzichten können.
Bernard Lebailly lag zwischen Tisch und Bett. Heiß oder kalt, egal, jedenfalls mausetot. An seinem Nacken übte eine Fliege summend Tiefflug. Er lag auf dem Bauch. Hatte eine gnadenlose Kugel verpaßt gekriegt, irgendwohin in seine lebenswichtigen Teile. Und als Zugabe eins mit einem harten, stumpfen Gegenstand auf die Rübe. Einen wütenden Schlag, haßerfüllt, rasend.
Also hatte Bernard Lebailly in der fraglichen Nacht doch nicht geschlafen. Hier lag der Beweis. „Lebend“ konnte man dazu nicht mehr sagen. Hätte er doch damals geschlafen! Dann würde er jetzt nicht für immer schlafen. Den Schlauberger zu spielen, war ihm gar nicht gut bekommen. Aber irgendein Oberschlauberger muß irgendwann immer dran glauben.
Die Kreissäge fraß sich immer noch durchs Holz. „Hau ab, Burma! Hau ab, Burma!“, rief sie mir zu. Reimte sich fast. Besser wär’s, ihren Rat zu befolgen. Was hast du hier im Viertel zu suchen? Was hast du mit Lebaillys Leiche zu schaffen? Der arme
Blödmann hatte sich sein eigenes Grab geschaufelt und war auch noch selbst reingesprungen. Hau ab, Burma! Hau ab!
Ich folgte dem Rat.
Bevor ich gekommen war, hatte man in aller Eile versucht, die Wohnungstür abzuschließen, allerdings ohne sich zu vergewissern, ob das Schloß zugeschnappt war. Ich konnte jetzt meine Zeit auch nicht damit vertrödeln, das Schloß in Ordnung zu bringen. Eintritt frei! Besser noch: Eintritt erwünscht! Sollte doch jeder sehen, was mit zu raffinierten Hotelportiers passiert... oder mit zu wenig raffinierten, darüber war ich mir noch nicht ganz klar. Niemand in Sicht? Also nichts wie weg! Ich nahm die ersten drei Stufen auf einmal... und sprang wieder zurück.
Jemand kam die Treppe rauf, leise wie ein Gespenst. Aber auch das Gewicht eines Gespenstes ließ die Stufen aufstöhnen. Besser, ich würde nicht hier in der Etage gesehen werden, egal von wem. Lautlos flüchtete ich mich in die obere Etage. Hinter einer Tür keifte eine Frau und bedrohte ihren Nachwuchs mit dem Klopfer. Die liebe gute Mama von Samstag! Als sie ihren Dressurakt beendet hatte, horchte ich nach unten. Kein
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