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Gott!“ brachte Marc
Covet mühsam hervor. Seine Finger umklammerten Block und Stift.
„Sie ist nicht tot“, beruhigte
ich ihn.
Aber lebendig war sie auch
nicht mehr so richtig. Ihr Puls war nicht zu fühlen. Sie atmete schwach, aber
abgehackt, so als wollte sie sich beeilen. Und das mußte sie auch. Viel Zeit
blieb ihr nicht mehr.
4.
Der
Hauch eines Zweifels
Ich griff zum Telefon. Sah ganz
so aus, als hätte es nur darauf gewartet, um zu läuten. Ich nahm den Hörer.
„Hallo!“
„Hallo! Ah...“ Der Anrufer
schien überrascht, eine männliche Stimme zu hören. „...äh... Ist dort die Wohnung
von Lucie Ponceau?“
„Mit wem sprech ich?“
„Norbert, der Assistent von
Jacques Dorly. Ich...“
„Mit wem möchten Sie sprechen?“
„Mit Mademoiselle Ponceau.“
„Tut mir leid, Mademoiselle
Ponceau ist nicht hier.“
„Wie... nicht hier? Hab ich
mich verwählt oder was?“
„Weiß ich nicht. Was hab ich
gesagt?“
„Oh, Scheiße!“ fluchte der
Assistent.
„Hab ich eben auch gedacht“,
gab ich zurück.
Er legte auf. Ich wählte die
Privatnummer meines alten Freundes Florimond Faroux. Er war nicht zu Hause. Ich
versuchte es am Quai des Orfèvres .
„Kommissar Faroux, bitte. Hier
Nestor Burma.“
„Hallo, Burma!“ schnauzte der
schnauzbärtige Flic wenige Sekunden später. „Finden Sie, daß jetzt die richtige
Zeit ist, um...“
„Scheiß was auf die Zeit! Hier
steh ich und kann nicht anders...“
„Wo stehen Sie?“
„Vor Lucie Ponceau, der
Schauspielerin.“ Ich nannte ihm die Adresse. „Bewegen Sie sich so schnell wie
möglich her. Mit Ambulanz und Arzt. Vielleicht gibt’s noch ‘ne kleine Chance,
sie zu retten...“
„Verdammt, Burma! Ich...“
„Fluchen können Sie später.“
Ich legte auf und ging zu dem
Star des Abends zurück. Sie lebte noch. Eine kleine Chance. Klitzeklein. Zu
klein. Wurde mit den Minuten nicht größer.
„Hm“, brummte Covet. „Was meinen
Sie...“
Ich zuckte die Achseln.
„Ich mein gar nichts.“
„Und dabei sind wir
stocknüchtern!“
„Gott sei Dank! Ich...“
... wurde vom Telefon
unterbrochen. Ich nahm ab.
„Hallo!“
„Oh, entschuldigen Sie!“
„Macht nichts. Was...“
Aufgelegt.
„Wer war das denn schon
wieder?“ wollte Marc Covet wissen.
„Eine Frau.“
„Was wollte sie?“
„Hat sie nicht verraten.“
„Hm.“ Er fuhr sich mit der
Zunge über die trockenen Lippen. „Würde gern was trinken.“
„Ich auch.“
„Dieses Telefon!“
Es klingelte tatsächlich schon
wieder. Verfluchte Erfindung!
„Hallo!“
„Oh, Scheiße!“
„Das haben Sie eben schon mal
gesagt, Alter.“
„Aber, verdammt nochmal! Das
gibt’s doch gar nicht. Ich verwähl mich die ganze Zeit. Wird Ärger geben.“
„Weiß ich nicht.“ Ich legte
auf. „Hoffentlich tauchen die Leute vom Film nicht vor den Flics hier auf!“
sagte ich, mehr zum Lieben Gott.
Er antwortete nicht. Der
durstige Journalist, nicht der Liebe Gott. Abwartend saß er mit seinem dicken
Hintern auf der äußersten Kante eines Hockers. Ich folgte seinem Beispiel. Warten
und hoffen, wie es auch Edmond Dantes empfiehlt. Was anderes blieb uns auch
nicht übrig. Zwischen zwei nervösen Blicken auf meine Uhr ruhte ein dritter auf
den gebundenen Ausgaben der Filmrevue — alte Ausgaben voller Lobgesänge — und
ein vierter auf dem Album mit den schmeichelhaften Zeitungsartikeln. Mehr war
von einer glänzenden Vergangenheit nicht übriggeblieben. Die beiden Bücher
waren vom Bett gerutscht, müde fallengelassen. Mein Blick (der fünfte) fiel auf
die antike Pendeluhr, eine Art Luxuswecker. Der Zeiger des Weckers stand auf
zehn Uhr. Möglicherweise hatte er also um zehn Uhr geklingelt. Zehn Uhr...
Zweiundzwanzig Uhr... Der Augenblick, als im Ruban-Bleu...
„Hat wohl nicht dran geglaubt,
hm?“ fragte ich Covet flüsternd.
„Woran?“
„An ihr Comeback.“
„Hab ich Ihnen doch gesagt.“ Er
nickte nachdenklich. „Sie zweifelte an sich. Hat immer gezweifelt, wie ich
gehört habe.“
„Jedenfalls... Sie waren doch
hinter einem Sensationsartikel her, oder?“
„Ach ja, stimmt!“
Er holte wieder den Block raus
und verließ das Zimmer. Immerhin schrieb er draußen seinen Artikel. Ich rührte
mich nicht. Durchs offene Fenster drang der nächtliche Pflanzengeruch vom Parc
Monceau herein. Die Pendeluhr auf dem antiken Tischchen zerhackte die Zeit, die
wenige Zeit, die Lucie Ponceau noch bewilligt war. In dem Seidenpyiama, der im Verletzten
Engel
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