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setzte dem aufgeregten
Hin und Her ein Ende, indem er uns alle in den Salon gehen ließ. Dort konnte er
seinen Pflichten besser nachkommen als in der Eingangshalle. Sofort begann er
mit der Vernehmung.
Das Ehepaar Baldi, Baptiste und
Jeanne, wurde von allen Seiten mit Fragen überschüttet. Sie sagten aus,
Mademoiselle habe heute alleine sein wollen und ihnen den ganzen Tag frei
gegeben. Die beiden kamen gerade von Bois-Colombes zurück, wo sie Verwandte
besucht hatten. Bevor sie morgens weggegangen waren, hatten sie die Mahlzeiten
für Mademoiselle vorbereitet und den Tisch gedeckt. Das Essen war noch
unberührt. Lucie Ponceau hatte ihren Appetit für was anderes aufgehoben. Ja,
Mademoiselle habe heute alleine sein wollen. Habe sie vielleicht nicht an eine
zweite Karriere geglaubt? Na ja, seit ein paar Tagen sei sie traurig gewesen.
Häufiger als sonst habe sie von früher erzählt. Aber die beiden Alten hatten
keine Erklärung für den Selbstmord. Sie konnten es einfach nicht verstehen.
Wenn sie auch nur das Geringste geahnt hätten, wären sie doch nicht nach
Bois-Colombes gefahren... Hatte Mademoiselle Drogen genommen? Getrunken? Die
beiden widersprachen lebhaft solchen Unterstellungen. Keine Tür war
abgeschlossen gewesen, jeder hatte ins Haus gekonnt. War das so üblich? Nein,
das sei nicht üblich gewesen, antwortete das Ehepaar Baldi. Aber Mademoiselle
habe sich nie darum gekümmert, nicht wahr? Also habe sie es möglicherweise
einfach vergessen. Und wenn sie sich habe umbringen wollen, habe sie doch wohl
andere Sorgen gehabt, als die Türen abzuschließen...
„Das wär alles im Augenblick“,
sagte Faroux.
Dann nahm er sich Jacques Dorly
vor. Der junge Regisseur sagte ungefähr folgendes aus:
„Mademoiselle Ponceau hat mir
gegenüber den Wunsch geäußert, nicht an der Premiere
teilzunehmen. Sie hatte Zweifel, Angst... Großer Gott! Möchte wissen, wovor sie
Angst hatte. Seit heute abend ist sie die Königin der Siebten Freien Kunst! Na
ja... äh... war, wollte ich sagen... Also, ich hab ihren Wunsch respektiert.
Nach der Vorführung wollte ich hierher kommen und ihr meine Anerkennung und
meine Glückwünsche aussprechen. Zusammen mit Monsieur Bochra, dem Produzenten,
meinem Ersten Assistenten und dem Skriptgirl. Wir konnten nicht früher
hiersein, weil... Sie wissen doch bestimmt, wie so was abläuft, nicht wahr? ...
Man kann nicht alle Leute sofort rausschmeißen, schon gar nicht die Langweiler.
Aber ich hab Norbert beauftragt, Lucie anzurufen. Hat leider nicht geklappt.
Entweder ging niemand dran, oder er hat sich verwählt... übrigens zweimal
dieselbe falsche Nummer. Seltsam, nicht wahr?“
„Er hat sich nicht verwählt“,
mischte ich mich ein. „Ich bin drangegangen, konnte Ihrem Assistenten aber
schlecht am Telefon erklären, daß Mademoiselle Ponceau im Sterben lag. Ich
wartete auf die Herren von der Polizei. Kommissar Faroux weiß Bescheid.“
„Sind Sie auch von der
Polizei?“
„Verwandt. Nur verwandt.“
„Verwandt? Mit wem?“
„Mit der Polizei“, unterbrach
Faroux ungeduldig mein Versteckspiel. „Zur Sache, Monsieur Dorly. Was geschah
dann?“
„Das ist alles. Entschuldigen
Sie, aber mehr kann ich dazu nicht sagen.“
„Anscheinend hatte Mademoiselle
Ponceau Mühe, an eine zweite Karriere zu glauben. Stimmt’s?“
„So ungefähr, ja. Sie war
nervös, sehr empfindlich, eine Künstlerin eben. Sie zweifelte an sich selbst, ja.
Aber ich hab das alles für eine Art Koketterie gehalten. An Depression hab ich
nicht gedacht. Und daß sie heute abend nicht an der
Premiere teilnehmen wollte, hab ich nicht als Beleidigung aufgefaßt, wenn Sie
wissen, was ich damit meine. Ich konnte sehr gut verstehen, daß sie nichts von
der Bewunderung und Anerkennung sehen oder hören wollte. Sie verachtete die,
die sie fünfzehn Jahre lang nicht beachtet hatten. Ich hielt das für einen
legitimen Racheakt.“
„Schön...“ Faroux sah mich an.
„Los, Burma!“
„Wohin?“
„Entwickeln Sie Ihre Theorie.“
Ich entwickelte sie. Als ich
fertig war, herrschte bedrückendes Schweigen. Der Kommissar beendete es:
„Sie waren doch intim mit ihr,
Monsieur Dorly... äh... Ich wollte sagen, Sie kannten sie besser als wir alle.
Ich, zum Beispiel, hab sie mal im Kino gesehen. Ist schon ‘ne verdammte
Ewigkeit her... „
„Wir werden alle nicht jünger“,
tröstete ich meinen Freund.
„...Also, Monsieur Dorly: Paßt
die Theorie, die Sie soeben gehört haben, zum Charakter der
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