nmp12
Lippen. Treibt ihm beinahe Tränen in
die Augen.
* * *
Madame Parmentier ist eine
Witwe von rund fünfundsiebzig Jahren. Dünn wie’n Hering. In ihrem
ausgemergelten Gesicht blitzen äußerst flinke, erstaunlich junge Äuglein hinter
einer großen Hornbrille. Sie trägt beinahe zerlumpte Kleidung, aber nicht aus
Geiz oder Geldmangel. Hat nur einen exzentrischen Geschmack. Die Wohnung am
Boulevard Poniatowski könnte moderner möbliert sein, aber nicht kostspieliger.
Kurz nach Mittag kreuze ich bei
der Witwe auf. Sie ißt gerade, wird bedient von einem Dienstmädchen, das kaum
jünger ist als sie. Dünn ist sie wohl von Natur aus. Denn eine Diät hält sie
offenbar nicht ein. Sie empfängt mich ohne Umstände. Ich störe sie nicht die Bohne, und sie fährt fort, sich in meiner
Anwesenheit vollzustopfen. Sie ist mir auf Anhieb sympathisch. Auf der
gestickten Tischdecke liegt ein Kriminalroman mit blutrünstigem Umschlag.
Andere Bücher vom selben Kaliber liegen auf einem Stuhl, zusammen mit einem
Päckchen Gauloises. Neben einer Flasche Burgunder steht auf dem Tisch ein
halbvoller Aschenbecher. Ich glaube, mit Madame Parmentier kann ich ein offenes
Wort reden. Offener jedenfalls als mit diesem Affen im Maklerbüro. Dem
Dienstmädchen, das mir geöffnet hat, hab ich gesagt, ich käme wegen der Villa
von Saint-Mandé. Keine näheren Angaben, kein Name. Bei Madame Parmentier kann
ich aufhören, um den heißen Brei herumzureden. Ich sage ihr offen, wer ich bin.
Wie vorauszusehen, hüpft sie fast vor Freude von ihrem Stuhl und läßt die
Gagatohrringe tanzen. Sie weiß, was sich gehört. Ohne Zögern beauftragt sie das
Mädchen, ein Glas für Monsieur zu holen, um mir dann von ihrem ausgezeichneten
Burgunder anzubieten. Dann erzähle ich ihr, was ich will.
„Nur ‘n paar Informationen über
Ihren Mieter von Saint-Mandé. Name, Aussehen, na ja, alles. Ich weiß nichts
über ihn. Aber ich führe gerade Ermittlungen durch. Und dafür muß ich mehr über
ihn wissen.“
Die Augen der alten Dame
leuchten.
„Ist er in einen Fall
verwickelt?“ fragt sie aufgeregt.
Ich lächle.
„Die Leute, über die sich
Privatdetektive informieren, müssen nicht zwangsläufig in undurchsichtige
Geschichten verwickelt sein, Madame. Ich kann Ihnen leider im Moment nicht mehr
verraten. Aber es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen alles bis ins kleinste zu
erzählen, wenn ich den Fall abgeschlossen habe.“
„Das hoffe ich!“ ruft sie mit
leuchtenden Augen. „Und ich hoffe auch, daß das in keinem Verhältnis zu dem
steht, was ich Ihnen erzählen kann, Monsieur. Denn ich fürchte, ich kann Ihnen
keine große Hilfe sein. Mein Mieter heißt Roussel... oder Rousset. Nein,
Roussel. Hab ihn nie gesehen. Fromentel kümmert sich darum, müssen Sie wissen...“
„Fromentel?“
„Die Agentur, die meine
Interessen wahrnimmt.“
„Ich dachte, das wär das
Maklerbüro Bonchamps?“
„Für mich ist das dasselbe.
Aber Sie haben recht. Bonchamps hat die Agentur Fromentel gekauft. Fromentel
war es noch, der mit Monsieur Roussel verhandelt hat. Das war... Warten Sie...
Also wirklich! Ich weiß nicht mal genau, wann das war. Vor mehreren Jahren. Die
Unterlagen sind natürlich in der Agentur. Die kümmern sich um alles. Ich
kassiere nur die Miete.“
„Ja, ja, natürlich. Ich komme
gerade von dem Makler. Hab mit einem gewissen Triaire gesprochen. Aber der sagt
nichts. Ich glaub, auch wenn Sie ihm die Anweisung dazu geben würden...“
„Ach, Triaire!“ unterbricht sie
mich. Kann ihn anscheinend nicht riechen. „Sie müssen zu Monsieur Bonchamps
gehen. Aber der ist im Moment in Urlaub. Wenn es Ihnen auf ein paar Tage nicht
ankommt, werde ich ihn fragen, wie mein Mieter aussieht. Schließlich hab ich
ein Recht, das zu wissen, oder? Und da mußten erst Sie kommen, daß ich mir
Gedanken darüber mache... na ja... Was sagte ich noch? Ach, ja... Ich werde mit
Monsieur Bonchamps reden und Ihnen Bescheid geben.“
„Vielen Dank, Madame.“
„Das ist doch das mindeste.“
„Inzwischen“, versuche ich noch
mein Glück, „könnte ich vielleicht mit Monsieur Fromentel sprechen. Schließlich
hat er mit Roussel verhandelt...“
„Fromentel kann Ihnen von
keinerlei Nutzen sein.“
„Warum?“
„Er ist tot.“
Sie sagt das wie eine Figur von
Agatha Christie. Ein Tonfall, der vermuten läßt, daß Fromentel mindestens in
Stücke gehackt und seinen verschiedenen Freunden und Bekannten als
Geburtstagsgeschenk zugeschickt wurde. Ich
Weitere Kostenlose Bücher